„Tempowahn“
Winfried Wolf begründet die Notwendigkeit der Entschleunigung
stellt Winfried Wolf den Tempowahn
in den größeren Zusammenhang der Entwicklung der
Verkehrsmittel seit Beginn der industriellen
Revolution. Dabei belegt er, dass die die erste
große Neuerung nicht der Bahnverkehr war, sondern
die gewaltige Ausdehnung des Schiffsverkehrs
mittels umfangreicher Kanalbauten. Mit der Bahn
allerdings gelang eine „qualitative
Geschwindigkeitssteigerung“ (nicht zuletzt durch
die neue Art der Streckenführung). Dies und alle
weiteren Darlegungen in seinem Buch sind ‒ wie bei
ihm üblich ‒ gut nachvollziehbar erläutert und
dokumentiert.
Die Durchsetzung der dritten Transportrevolution – die
Etablierung der Autogesellschaft – gelang nur mithilfe
massiver staatlicher Hilfe. Nur so konnte sich das
unrationelle und auch mörderische Transportmittel Auto
durchsetzen, mörderisch vor allem wegen der jetzt gewaltig
ansteigenden Zahl der Verkehrstoten, Verletzten und durch
Lärm, Feinstaub usw. Geschädigten. In dieser Entwicklung
spielte der Faschismus – vor allem in Italien und
Deutschland – eine herausragende Rolle. Von den drei Ebenen,
auf denen W. Wolf Parallelen zwischen Fordismus und
Faschismus ausmacht, überzeugen vor allem seine Ausführungen
zu „Fließband und vertakteter Arbeit“ sowie zum
„Geschwindigkeitsfetischismus.“ Und er weist nach: „Letzten
Endes demonstriert der Autobahnbau die Herrschaft des
Regimes über die Natur, die Rücksichtslosigkeit gegenüber
der Umwelt und die Durchsetzung einer hierarchisch
strukturierten Willenskraft. […] Es ging um die gewaltsame
Durchsetzung sehr spezifischer Interessen.“ (S. 97)
So richtig durchgesetzt hat sich die Autogesellschaft in
Europa nach dem II. Weltkrieg und zwar mittels einer
massiven Subventionierung des Autoverkehrs gegen die damals
noch vorherrschende motorisierte Verkehrsform Eisenbahn, die
„niederkonkurriert und ruiniert“ wurde (S. 61). Mit der
ölbasierten Wirtschaft (Ölproduktion, Autoindustrie,
Flugverkehr usw.) und vor allem mit dem motorisierten
Individualverkehr lassen sich nun mal bedeutend mehr Profite
generieren als mit der Aufrechterhaltung von
Massenverkehrsmitteln und speziell der Eisenbahn.
Begleitet wurden und werden all die staatlichen Subventionen
für die Autogesellschaft und den Flugverkehr (etwa die
Steuerbefreiung für Kerosin) von spezifischen Mitteln zur
Beeinflussung der Massenpsychologie. Nicht rein zufällig
werden hier auch spezifische Momente befördert, die
patriarchales Verhalten und Machogehabe vorantreiben. Autos
werden immer größer und schwerer, die Autorennen nehmen zu
wie auch schlicht alles, was unter „Asphalt-Aggression“
fällt. Erschreckend ist, was W. Wolf zu den illegalen
Autorennen auf deutschen Autobahnen zusammenträgt. Jedes
Jahr gibt es auf deutschen Straßen „mehr als eintausend
illegale Autorennen, überwiegend ohne ein polizeiliches
Eingreifen“. (S. 115). Keine unwichtige Rolle spielen
natürlich die offiziellen Rennen, mit denen überhaupt erst
die Menschen (vor allem die Heranwachsenden) für den
Geschwindigkeitsrausch angefixt werden.
„Produzenten des Autowahns“
In Kapitel 9 führt W. Wolf diejenigen in Politik und
Industrie an, die hier die größte direkte Verantwortung für
die Fortführung der Autogesellschaft tragen, also die
Verantwortlichen in der Autoindustrie mit all ihren
Zulieferern und daran Verdienenden sowie natürlich die
herrschende Politik. (Ich füge hinzu: Staatliche Stellen
wirken hier recht konsequent im Rahmen der Konkurrenz der
Wettbewerbsstaaten.) Dazu gehört der Bau von SUV und anderer
schwerer – spritschluckender ‒ Fahrzeuge, die steuerliche
Begünstigung von Dienstfahrzeugen (was speziell der
deutschen Autoindustrie einen Konkurrenzvorteil verschafft)
usw. Aber auch die Justiz und viele Prominente sind an
diesem Gesamtkonzert beteiligt, wie der Autor gut
erläutert.
Ein Aspekt allerdings kommt nach meinem Dafürhalten etwas zu
kurz. W. Wolf schreibt auf S. 202: „Die Geringschätzung von
menschlichem Leben in der Tempowahn-Gesellschaft kann auch
die Form annehmen, dass der Tod billigend in Kauf genommen
wird, um die beschleunigte Kapitalverwertung zu erhalten.“
(S. 202) Meines Erachtens geht es nicht nur um die
Aufrechterhaltung einer beschleunigten
Kapitalverwertung. Von den vier wesentlichen Faktoren zum
Erhalt oder der Steigerung der Profitrate spielt – nach dem
Bemühen zur Erzeugung relativen Mehrwerts – die Verkürzung
der Umlaufszeit (als Teil der Umschlagszeit des Kapitals)
heute die bedeutendste Rolle. Deshalb ist die Verkürzung der
Wegezeiten so wichtig und wird im Zeitalter des
Neoliberalismus mit allen nur erdenklichen Mitteln
gefördert.
Hier greifen alle Momente ineinander, die auf Steigerung der
Geschwindigkeit ausgerichtet sind: also schneller arbeiten
(Erhöhung des absoluten Mehrwerts), schneller die
Zulieferung bekommen (und dadurch weniger Kapital binden),
schneller ausliefern usw. Die Hetze der Paketboten ist nur
ein kleiner, winziger (aber für die Betroffenen
gravierender) Ausdruck dieser durchgängigen Beschleunigung
aller Arbeitsschritte – und damit der
Kapitalverwertung. Entschleunigung richtet sich also – und
hierauf hat W. Wolf ja an anderer Stelle in diesem Buch gut
hingewiesen – direkt gegen die Interessen des Kapitals.
Wertvoll finde ich auch den Hinweis, dass der Tempowahn
nicht zuletzt zur Zerstörung von Kultur und Demokratie
beiträgt (etwa bei Genehmigungsverfahren für neue
Projekte). Und der Autor kommt in dem Abschnitt, in dem er
die „Dromokratie“ (Geschwindigkeitsherrschaft) beschreibt zu
dem Schluss: „Ja, es ist so. Revolution für die Menschen und
für den Humanismus bedeutet vor allem: Entschleunigung ‒
Herausnahme von speed aus dem kapitalen System.“
(S. 206)
Nicht machtlos
Dass wir aber nicht machtlos sind, wird zurecht
hervorgehoben. So haben die Proteste gegen die alle zwei
Jahre stattfindende IAA (bislang in Frankfurt) die Macher
(und die gesamte Autolobby) politisch strak in die Defensive
gebracht. Sie weichen dieses Jahr – mit einem anderen
Konzept, das uns aber nicht täuschen sollte – nach München
aus. Letztlich kann dies – in Verbindung mit den auch sonst
zunehmenden Aktivitäten für eine Verkehrswende (Sand im
Getriebe, Wald statt Asphalt, …) ‒ die Stimmung etwa für die
so wichtige Geschwindigkeitsbegrenzung fördern.
An dieser Stelle hätte ich einen kleinen Widerspruch zu den
von W. Wolf in seinem neuen Buch dargelegten Vorschlägen
anzumelden. Sehr richtig macht er sich stark für eine
durchgehende Tempobeschränkung auf deutschen Straßen und
zwar: 30 km/h in den Städten, 80 auf den Landstraßen und 120
auf den Autobahnen. Ich meine, dass ein anderer Dreiklang
stimmiger wäre: 30 – 80 – 100. Denn wenn die Niederlande
(seit Frühjahr 2020) die Höchstgeschwindigkeit auf 100
begrenzen, warum soll das nicht auch in Deutschland möglich
sein? Eine Mehrheit der Bevölkerung ist – seit langem – für
eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen
auf 120 km/h. Doch auch diese Zahl lässt sich ändern, wobei
zwei Argumente zentral sind: Erstens reduziert eine
Beschränkung auf 100 km/h noch drastischer die Zahl der
Toten und Verletzten und zweitens fördert dies den
öffentlichen Verkehr (vor allem die Bahn) und trägt
überhaupt zur Vermeidung von Verkehr bei. Eine andere
Raumordnungspolitik (Infrastrukturpolitik) wird letztlich
ein weiteres wichtiges Element sein, wobei wir betonen
müssen: Jede Maßnahme zur Beschränkung des Autoverkehrs muss
in ein Gesamtkonzept zur Verkehrsvermeidung und
Entschleunigung eingebettet sein. Nur dann lassen sich die
Menschen für die großen Veränderungen mitnehmen und sie zu
aktiven Unterstützern in diesem wichtigen Kampf machen.
Meine Randbemerkungen (es sind eher kleine Hinweise zur
Ergänzung) sind keine Kritik an den von W. Wolf überzeugen
dargelegten Ausführungen zum Tempowahn. Das Buch ist
uneingeschränkt zu empfehlen. Ich wünsche ihm eine große
Verbreitung.
Jakob Schäfer, 10. 6. 2021
Solidarität mit den Beschäftigten im ÖPNV
Mit kräftigen Lohnerhöhungen und
kürzeren Arbeitszeiten für die Verkehrswende!
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Wir meinen: Eine kräftige Entgelterhöhung ist aus zwei Gründen dringend:
Erstens verdienen die Fahrerinnen und Fahrer sowie die anderen
Beschäftigten der Verkehrsbetriebe viel zu wenig, um davon gut genug
leben zu können.
Zweitens muss der ÖPNV massiv ausgebaut werden. Dafür braucht man
bedeutend mehr Fahrer\-*\-innen und die bekommt man nur, wenn das Geld
stimmt.
Deswegen sollte am besten eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte
um 300 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten durchgesetzt werden.
Außerdem: Schichtdienst in einem so verantwortungsvollen Beruf muss
besser honoriert werden. Deswegen: Höhere Zuschläge für Spätschicht und
Wochenenddienste und an Feiertagen.
Schon aus Gründen des Gesundheitsschutzes muss die Arbeitszeit vor allem
für die Fahrer*innen deutlich reduziert werden. Mehr als gerechtfertigt ist
unserer Ansicht nach deswegen ein Kampf um die 30-Stunden-Woche bei
vollem Entgeltausgleich sowie 30 Tage Urlaub für alle sofort.
Pausen ausdehnen, Ruhezeiten verlängern, die gesamte Arbeitszeit
bezahlen!
Fahrplanbedingte Fahrtunterbrechungen verlängern die faktischen
Dienstzeiten. Auch für die Wegezeiten zur Übernahme eines Fahrzeugs auf
der Strecke muss gelten: Volle Anerkennung all dieser Zeiten als
Arbeitszeiten und Verlängerung der Mindestruhezeiten auf 14 Stunden.
Das Argument der leeren Kassen zieht nicht. Schließlich hat man für die
Lufthansa 9 Mrd. € zur Verfügung gestellt, ohne auch nur Entlassungen
auszuschließen. Stadt und Land sind gefordert, die nötigen Mittel
aufzubringen. Denn erstens haben es die Beschäftigten verdient und
zweitens ist dies eine elementare Voraussetzung für die dringend
erforderliche Verkehrswende.
Verkehrswende jetzt!
All dies sind notwendige Voraussetzungen, um in absehbarer Zeit eine
wirkliche Verkehrswende hinzubekommen, d.h. weniger Autoverkehr, mehr
Öffentlicher Nah- und Fernverkehr. Wer soll in Zukunft die zusätzlichen
Verkehrsmittel, die eine Verkehrswende erfordert, fahren, warten,
reparieren? Ohne eine höhere Bezahlung, ohne kürzere Schichten werden
die Arbeitsbedingungen im ÖPNV so unattraktiv bleiben wie bisher und
damit schon von der personellen Seite her eine Verkehrswende unmöglich
machen.
Eine Verkehrswende ist deswegen so dringend, weil zur
Abwendung der Klimakatastrophe vor allem der CO2-Ausstoß im
Verkehrssektor drastisch reduziert werden muss. Wenn sich die
Beschäftigten der Verkehrsbetriebe in diesem Land also für höhere Löhne
und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, dann handeln sie damit im
Sinne ökologischer Verantwortung und für das Allgemeinwohl. Ihr
Kampf ist ein tragender Pfeiler des Kampfes für eine Verkehrswende
und der Vermeidung einer Klimakatastrophe. Wir haben nicht mehr
unendlich Zeit, um eine Verkehrswende zu erreichen. Wenn wir die
Klimakatastrophe abwenden wollen, müssen alle Hebel in Bewegung
gesetzt werden, um einen schnellen Umbau des Verkehrswesens zu
erzielen. Und auch zu diesem Zweck fordern wir den ÖPNV zum
Nulltarif.
Für den Nulltarif ohne Wenn und Aber
Ein weiterer wichtiger Baustein für das Umsteuern auf eine massive
Nutzung des ÖPNV ist seine kostenlose Nutzung. Dies muss ohne
Einschränkung und sofort erfolgen. Auch ein 365-Euro-Ticket reicht dazu
vorne und hinten nicht. Es dient zurzeit nur dazu, vom Kampf für den
erforderlichen Ausbau und eine kostenlose Nutzung des ÖPNV abzulenken.
Die Klimabewegung und die abhängig Beschäftigten der Verkehrsbetriebe
(MVG, ESWE, Bahn usw.) verfolgen also gemeinsame Ziele. Lasst uns dies in
Zukunft koordiniert und entschlossen angehen!
Klar muss uns sein, dass verbesserte Arbeitsbedingungen, eine Erhöhung
der Löhne und eine Verkehrswende nicht mit Bitten und guten Worten
erreicht werden. Nur wenn die Beschäftigten sich aktiv dafür einsetzen und
die Auseinandersetzung nicht scheuen, kann Nennenswertes durchgesetzt
werden. Und in diesem Kampf muss auch die Öffentlichkeit in der Stadt
einbezogen werden, denn sie wird es sein, die bei einer Verkehrswende
gewinnt!
Die ganze Bäckerei
Der Referent unserer Veranstaltungen am 10. und 11. April 2019,
Winfried Wolf, sprach auf Einladung von Fridays for Future
am 22. März 2019 auf
der Demo der Schülerinnen und Schüler vor dem Landtag in Düsseldorf.
Das folgende Transkript haben wir
von den Nachdenkseiten kopiert.
Danke für Eure Einladung hierher nach Düsseldorf. Die 450
Minuten Fahrzeit von Berlin nach Düsseldorf mit der Bahn hin und
zurück sind es wert, hier vier oder maximal fünf Minuten reden
zu können. Ich bringe damit auch meinen großen Respekt vor
Euch und Eurem Engagement zum Ausdruck.
Mein Beitrag geht auf drei Punkte ein: erstens auf das Klima und die
Verkehrspolitik im Allgemeinen und die Alternativen. Zweitens auf das
Totschlagargument mit den Arbeitsplätzen. Und drittens auf die
notwendige Weltbewegung einer ALL-days-for-future-Bewegung.
Zum Verkehrssektor und zur Klimaerwärmung. Ja, der Verkehr und
hier vor allem der Autoverkehr und der Flugverkehr sind
mit-verantwortlich für die massive Klimaerwärmung. Sie
tragen zu einem Fünftel bis zu einem Viertel zu den
CO-2-Emissionen bei. Und das ist dann auch derjenige Bereich, in dem
die Klimagase deutlich ansteigen.
Elektroautos sind dabei keine Lösung des Problems. Sie sind
vielmehr Teil des Problems. Und zwar deshalb, weil ein
Elektro-Pkw erstens einen „ökologischen Rucksack“ hat: bei dessen
Produktion werden viel mehr CO-2-Emissionen freigesetzt als bei einem
normalen Pkw, dies vor allem wegen der Batterieproduktion. Zweitens
wegen des Strom-Mix´: Es gibt immer einen relevanten Anteil an Strom
aus Verfeuerung von fossilen Brennstoffen. Drittens weil mehr als die
Hälfte der Elektro-Pkw Zweit- und Drittwagen sind – sie steigern
die Pkw-Dichte in den Städten; machen die zerstörerische
Blechlawine gerade da, wo sie besonders schädigend ist,
nämlich in den Stadtzentren, nochmals größer. Und
drittens, weil wir mit Elektro-Pkw die Abhängigkeit von Öl
ersetzen durch eine neue Abhängigkeit von anderen knappen
Ressourcen – so von Kobalt, Kupfer und Lithium. Es gibt dann anstelle
von Ölkriegen Kobalt-Kriege, Kupfer-Kriege um Lithium-Kriege.
Die Lösung der Mobilitätskrise ist eine ganz praktische.
Vergleichen wir doch einmal Düsseldorf mit Kopenhagen. Beide
Städte sind gleich groß. Sie haben jeweils gut 600.000
Einwohner. Beide Städte sind ähnlich flach. In beiden
Städten gibt es ähnlich viele Regen- oder Sonnentage.
In Kopenhagen werden mehr als 60 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad
zurückgelegt. In Düsseldorf liegt der Anteil bei knapp 20
Prozent – bei weniger als einem Drittel des Wertes der dänischen
Hauptstadt. Nehmen wir den Kopenhagen-Anteil beim Radverkehr als
Ausgangspunkt, addieren wir zu den gut 60 Prozent Radwege rund 15
Prozent Fußwege-Anteil und dann noch gut 20 Prozent
ÖPNV-Anteil hinzu. Dann verbleibt ein Rest von weniger als 10
Prozent für den Autoverkehr. Da ist es dann fast egal, ob das
Diesel-Pkw, Benziner oder Elektro-Autos sind. Meinetwegen gerne alles
Elektroautos. Aber eben nur 10 Prozent Autoverkehr – anstelle von den
derzeit mehr als 50 Prozent in Düsseldorf und anderen deutschen
Städten.
Eine solche Grundordnung im Verkehr mit dem Vorrang Fahrrad und
Fußgänger muss kombiniert werden mit einem Ausbau des
ÖPNV, mit einem Nulltarif im ÖPNV, mit einem Ausbau der
Schiene in der Fläche und mit Nachtzügen, die einen
großen Teil der Kurzstrecken- und Mittelstreckenflüge
ersetzen können.
Übrigens: Greta Thunberg reiste im Januar dieses Jahres mit der
Eisenbahn von Stockholm nach Davos, um dort vor den Bossen des
Weltwirtschaftsforums ihren Appell in Sachen Klimapolitik vorzutragen.
Sie musste dabei fünf Mal umsteigen – drei Mal in Deutschland.
Dabei dürfte die Wahrscheinlichkeit, einen Anschluss der
Deutschen Bahn zu verpassen, ziemlich groß gewesen sein.
Ich habe mal nachprüfen lassen, wie das früher war. Vor
vier Jahrzehnten hätte Greta eine Zugverbindung gehabt, bei der
sie nur ein Mal hätte umsteigen müssen. Und sie hätte
von der Schweiz bis Kopenhagen einen durchgehenden Zug, und auf der
Hauptstrecke – Schweiz bis Kopenhagen – einen bequemen Nachtzug
nutzen können.
Daran sieht man, was alles möglich war. Und was alles
möglich ist, um einen flächendeckenden, guten
Schienenverkehr zu bekommen, der viele der extrem
klimaschädigenden Flüge ersetzen würde.
Zum zweiten Aspekt, dem Totschlagargument mit den Jobs. Ja, es gibt
in Deutschland derzeit 820.000 Jobs in der Autoindustrie. Doch es ist
die Autoindustrie selbst, die diese Jobs zerstört – durch
Automatisierung, durch Roboterisierung, durch Umstellung auf
Elektro-Auto-Produktion und durch Auslagerung nach Osteuropa und
Asien. Allein bei den deutschen Werken von VW, Opel und Ford steht in
den kommenden fünf Jahren ein Job-Abbau in der
Größenordnung von 55.000 Arbeitsplätzen an.
Sodann ist wichtig: Mit der Verkehrswende werden neue Jobs
geschaffen. Und diese können auch in der Autoindustrie
geschaffen werden, dann wenn es Konversion, einen Umbau
dieser Industrie gibt. Neue Jobs, um Eisenbahnwagen, um Loks, um
Triebfahrzeuge und um Fahrräder herzustellen bzw. um
dafür die Infrastruktur bereitzustellen.
Im Übrigen stehen wir hier für ALL days for future
– für ein gesamtgesellschaftliches Projekt und damit
auch für gesamtgesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze.
Nicht für Jobs um der Jobs willen.
Nehmen wir doch mal die Situation in den Schulen, bei Euch. Wir haben
derzeit in Deutschland rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze im
Bereich Erziehung, Schulen und Hochschulen. Das sind bereits viel mehr
als im Bereich der Autoindustrie. Sind das zu viele? Nein, es sind zu
wenige. Siehe den permanenten Ausfall von Unterrichtsstunden. Siehe
die viel zu großen Klassengrößen.
Wenn wir nur die Verhältnisse in Skandinavien nehmen würden
– und ich rede nicht vom Sozialismus, ich rede „nur“ von Schweden oder
Dänemark – wenn wir nur die Klassengrößen und
Seminargrößen und die Größe der Kita-Gruppen
nehmen, die es dort gibt. Dann bräuchten wir in Deutschland
800.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das sind ebenso viele,
wie es derzeit in der gesamten Autobranche Jobs gibt.
Es geht nicht abstrakt um Arbeitsplätze. Es geht um sinnvolle,
um gesellschaftlich wichtige und um klimaverträgliche
Arbeitsplätze.
Nochmals zum Aspekt ALL days for future: Der Gründer
des Potsdam Institut für Klimaforschung, Hans Joachim
Schellnhuber, sagte jüngst: „Wir steuern in einem Irrsinnstempo
auf eine unbeherrschbare globale Situation zu. Aber viele Medien
berichten nur noch mit gequälter Beiläufigkeit
darüber.“
Schellnhuber sagte weiter: Nur eine „Weltbürgerbewegung“
könne die sich abzeichnende Klimakatastrophe – gewissermaßen
zwei vor zwölf – noch stoppen.
Wir sagen: Das hier – die Bewegung Fridays for Future – ist ein
Ansatz für eine solche Weltbürgerbewegung.
Und wenn da ein Herr Armin Laschet, der Ministerpräsident dieses
Landes [Nordrhein-Westfalen], sagt: „Schön und gut – aber bitte
keine Streiks in der Schulzeit“, dann ist das dümmlich und dreist.
Wir sagen dazu vor diesem Landtag:
Herr Laschet, Frau Kanzlerin und Herr US-Präsident: Sie und
ihre Vorgänger in diesen Ämtern hatten Jahrzehnte Zeit,
wirksame Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung zu ergreifen.
Bereits 1992 bei der Klimakonferenz in Rio de Janeiro hieß es,
die CO-2-Emissionen müssten reduziert werden. Und was ist
passiert? Sie sind heute um 50 Prozent höher als 1992. Und es
sind Ihre Maßnahmen, Herr Laschet, Frau Merkel und Mr. Trump, es
ist Ihre Politik, mit der die Klimaerwärmung beschleunigt wird.
Und zwar zu Lande, zu Wasser und in der Luft: Zu Lande mit der
fortgesetzten Steigerung des Autoverkehrs – und sei es mit
Elektroautos. Auf dem Wasser durch den Boom mit Kreuzfahrschiffen und
die Expansion der Containerschifffahrt. Und in der Luft mit der
ständigen Steigerung der Billigfliegerei.
Wir wollen nicht etwas weniger Plastik. Wir wollen nicht etwas mehr
Elektroautos. Diese Bewegung Fridays for Future will All days for
Future. Wir wollen keine kleinen Brötchen. Wir wollen die ganze
Bäckerei. Eine Gewerkschaft, die angesichts der Bedrohung auf
diesem Planeten ihren Namen verdient, muss so agieren, heißt
DGB, heißt: Die Ganze Bäckerei.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der anstelle von Profitgier,
Klimazerstörung und Wachstumszwang die Solidarität, die
Nachhaltigkeit und die Solidarität im Zentrum stehen.