Grundsatztexte

Ökosozialismus oder Barbarei -
Zum Selbstverständnis der Ökosozialistischen Initiative Mainz-Wiesbaden

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Unser Ausgangspunkt für eine emanzipatorische politische Aktivität ist die Feststellung, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Diese beruht in erster Linie auf dem Interessengegensatz von Lohnarbeit und Kapital. Je intensiver die Ware Arbeitskraft ausgebeutet wird, umso mehr Mittel stehen dem Kapital für seinen Wachstumsdrang zur Verfügung. Die Kapitalkonkurrenz zwingt zu immer mehr Akkumulation und zur Ersetzung von Arbeitskraft durch profitablere Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation und Maschinen. Kraft seines immanenten Wachstumszwangs schickt sich dieses System an, die Voraussetzungen seiner eigenen Reproduktion zu untergraben: die Ware Arbeitskraft und die natürliche Umwelt.

Wir wissen, dass die herrschende Klasse ihr System mit Zähnen und Klauen verteidigen wird. Die Kämpfe der Ausgebeuteten gegen die Folgen des Kapitalismus, die Kämpfe der Frauen gegen Diskriminierung und Überausbeutung, der aktive Kampf von Migrant*innen gegen den alltäglichen Rassismus, gegen die Schikanen durch Ämter und Polizei und der Kampf von vor allem jungen Menschen gegen den Raubbau der natürlichen Umwelt und die Folgen des Klimawandels, die ihre Zukunft zerstören – alle diese Kämpfe sind unsere Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft. Wir wissen, dass es diese Klassenkämpfe, diese Konflikte sind, und sicher nicht der Parlamentarismus, die die gesellschaftlichen Probleme lösen werden.

Nicht erst mit der Pandemie Covid 19 ist deutlich geworden, dass wir in einer multiplen Krise leben. Allerdings hat sie sich damit drastisch verschärft.

Die große Mehrheit der Bewegungen, die sich für eine andere Umweltpolitik engagieren, erhofft sich Lösungen ohne einen tiefen Bruch mit dem System. Ein Teil der Degrowth- Bewegung setzt stark auf Konsumkritik und Veränderung individueller Verhaltensweisen, andere wiederum glauben an schrittweise Veränderungen durch parlamentarische Mehrheiten. Ohne diesen Strategien jegliche Wirkung abzusprechen, ist ihnen doch gemein, dass sie die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und den zentralen Stellenwert der Kapitalverwertung unterschätzen und die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeiten dieses Systems überschätzen.

Wir wissen aber auch, dass das Objekt ihrer Konsumkritik zurecht ein imperialer Lebensstil ist, der in großen Teilen Europas und Nordamerikas nur infolge gnadenloser Ausbeutung der Arbeitskraft von Milliarden Menschen und durch schonungslosen Raubbau an den Ressourcen und der Umwelt im globalen Süden praktizierbar ist. Und dieser Lebensstil wird nicht nur von der Bourgeoisie (einer gesellschaftlichen Minderheit) praktiziert, sondern er wird geteilt von einem großen Teil der Bevölkerung. Das macht das System, dessen Bestandteil dieser imperiale Lebensstil ist, so politisch stabil. Auf der Basis dieses Konsens hierarchisch zugeteilter Privilegien können Kriege geführt werden, gedeihen Rassismus, Nationalismus und Wohlstandschauvinismus und wird Solidarität zu einem weltfremden Verhalten. Es ist unsere Aufgabe dazu beizutragen diesen imperialen Konsens mitsamt seinen tragenden Pfeilern - Klassenfrieden und die Ungleichwertigkeit der Menschen – endlich aufzubrechen!

Dies heißt für uns aber nicht, dass wir ohne Systemwechsel nichts tun können und keine Teilerfolge erringen können. Diese Teilerfolge sind nötig, um breitere Bevölkerungsschichten zu ermuntern, sich gegen dieses zerstörerische und menschenfeindliche System zur Wehr zu setzen.

Überall auf der Welt kämpfen arbeitende Menschen, Jugendliche, Frauen, Migrant*innen und indigene Bewegungen gegen die kapitalistische Wachstumsmaschine, die ihre Lebensgrundlagen zerstört. Mit ihnen fühlen wir uns zutiefst solidarisch, weil wir wissen, dass uns große Gemeinsamkeiten und Interessen verbinden und weil wir wissen, dass ohne einen erfolgreichen Kampf für globale Klimagerechtigkeit, eine Neuverteilung der Ressourcen und gleiche soziale Lebensgrundlagen für alle, eine Fortführung dieses kapitalistische Systems unser aller Zukunft ruinieren wird.

Zur Zeit besteht der Schwerpunkt unserer Arbeit darin, gemeinsam mit anderen Kräften aus linken ökologischen Bewegungen eine radikale Verkehrswende voranzutreiben, denn das herrschende System der Mobilität, mit dem Auto als seinem zentralen Pfeiler, beeinträchtigt unser Leben auf sozialer Ebene (es ist ein teures System), auf ökologischer Ebene (es trägt ganz beträchtlich zum Klimawandel bei), auf gesundheitlicher Ebene (das Auto als Massenvernichtungsmittel). Eine Verkehrswende brauchen wir auf dem Land, die das Leben, Arbeitsplätze und autofreie Mobilität in die zu Schlafstätten verkommenen Dörfer und Kleinstädte zurückbringt. Eine Verkehrswende brauchen wir in der Stadt, deren Ergebnis eine autofreie Stadt sein wird, die ihre Bewohner von Lärm, Feinstaub und Gestank erlöst und Asphalt wieder in Grünflächen verwandelt. Wir wollen, dass die Bewohner ihre Stadt wieder in Besitz nehmen. Wir nennen es das Recht auf Stadt.

Mobilität ohne Auto? Ja! Und der schnellste Weg dorthin ist der massive und bedarfsgerechte Ausbau des ÖPNV zum Nulltarif!!!

Nur so ist eine grundlegende Verkehrswende zu erzielen. Wir wissen aber auch, dass sie nur gelingen kann, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Automobilindustrie aufstehen, um endlich Gebrauchswerte herzustellen, statt weiter an Gerätschaften zu basteln, die das ökologische Desaster nur verschlimmern und jährlich ca. 30.000 Menschen das Leben kostet. Wir wissen, dass die bestehende Klassengesellschaft mit ihrem System der Herrschaft und Ausbeutung nur imstande ist, die bestehende Barbarei zu verlängern. Genau das wollen wir nicht! Die Zukunft kann selbstverständlich nur in einer klassenlosen Gesellschaft bestehen!

Was ist die Verkehrswende ?

Verkehrs- und Energiewende

Der Begriff der Verkehrswende ist in Anlehnung an die Energiewende geschaffen worden, um darauf hinzuweisen, dass – ebenso wie eine andere Form der Erzeugung von Energie notwendig ist – auch neue Formen der Mobilität entstehen müssen. Traditionellerweise beruhen Energieerzeugung und Mobilität auf der Verbrennung fossiler Energieträger (Öl, Kohle, Gas). Um in Zukunft die globale Atmosphäre nicht noch stärker mit THG (Treibhausgase, darunter vor allem Kohlendioxid) zu belasten, die die Atmosphäre aufheizen, muss die Nutzung fossiler Energieträger als Grundlage für Energieerzeugung und Mobilität schrumpfen.

Durch relativ einfache technische Veränderungen und Innovationen ist es in den Jahren 1990-2010 gelungen die THG-Emissionen verschiedener Sektoren der Wirtschaft und des Alltagslebens abzusenken. Nicht so beim Verkehr. Zwar sind Autos energieeffizienter geworden, im Gegenzug aber schwerer und ihre Anzahl ist stark gestiegen. Zugleich haben im Zeitraum 1990-2019 Flugverkehr und Schiffsverkehr zugelegt, sodass die THG-Emissionen im Verkehrssektor trotz steigender Energieeffizienz zugenommen haben. Diese Entwicklung wird deshalb so bedrohlich, weil das Zeitfenster für Veränderungen, die den Klimawandel drohen zur Klimakatastrophe auswachsen zu lassen, rasch schrumpft.

THG-Emissionen nach Emittenten in Deutschland 1990-2016 THG-Emissionen nach Emittenten in Deutschland 1990-2016 Quelle: Sachverständigenrat Umwelt 2017

Die Grafik teilt uns mit, dass die Steigerungen der technischen Effizienz, die in den meisten Sektoren schnelle Emissionssenkungen ermöglichten, augenscheinlich nicht ausreichen werden, um die THG-Emissionen bis 2050 auf das erforderliche Niveau nahe der Klimaneutralität zu senken.

Die drei Themen der Verkehrswende

In Deutschland und in Europa werden jedes Jahr mehr fossile Brennstoffe verbraucht, um die bestehende Mobilität zu wahren. Das Interesse ist groß, dass diese Mobilität eine Automobilität bleiben wird, weil einer der beschäftigungsgrößten und gewinnträchtigsten Sektoren der Industrie die Automobilindustrie ist. Zudem sind große Teile der Infrastruktur (für Einkaufen, Wohnen und Arbeiten, Freizeit) so konstruiert worden, dass sie völlig vom Auto abhängig sind. Es gibt einen Zwang zum Autobesitz, weil anders die Arbeit oder Freunde und Verwandte nicht erreichbar sind. Wer nicht in einer Stadt lebt kann in der Regel nicht einmal mehr ohne Auto einkaufen. Der Öffentliche Verkehr wurde durch den Zwang zur Automobilisierung so weit zerstört, dass er nur noch in den Städten als Alternative zum Auto gelten kann. Ihn wieder aufzubauen und zur Ersten Form der Mobilität zu machen ist oberstes Gebot jeder Politik gegen die Klimakatastrophe.

Wenn wir von Verkehrswende sprechen geht es aber nicht nur um Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen, sondern ebenso um die Wiedergewinnung eines lebenswerten Lebens, das besonders in den Städten mit ihrem Lärm, ihren Abgasen und einer autogerechten Flächenaspaltierung in den vergangenen 60 Jahren rapide an Qualität verloren hat. Die Städte sind heute bis ins Detail autogerecht und menschenfeindlich umgebaut worden. Sie für und durch die Bewohner wiederzugewinnen, also das Recht auf Stadt geltend zu machen, ist auch Bestandteil der Verkehrswende. Auch hier gilt es das, was verloren gegangen ist, wieder aufzubauen: Die Lebensqualität von Stadt, ein gut ausgestatteter Öffentlicher Nahverkehr, Wohnungsmieten, die sich jede(r) leisten kann, keine Dauerbelastung durch Lärm und Abgase, Räume zur Erholung und Räume, in denen Kinder wieder spielen können. Wir wollen keine Industrie und keinen Verkehr, die den Klimawandel anheizen, die die Natur wie die Menschen zerstört, sondern dazu in die Lage versetzt werden die ökologischen Grenzen ihrer Eingriffe zu beachten.

Wenn wir von Verkehrswende sprechen müssen wir auch etwas über das kapitalistische System sagen, dessen Folgen diese Verkehrswende so dringlich machen, müssen über ein System sprechen, das sich selbst als eines definiert, das unaufhörlich wachsen muss, das alle Lebensbereiche zum Geschäft, zur Ware, für den Profit gemacht hat: Wohnen, Mobilität, Freizeit, Arbeit. Weshalb belassen wir die Mittel, mit denen die Dinge des Alltags hergestellt werden, die Mittel, mit denen wir kommunizieren, die Räume, in denen wir leben und die Zeit, die wir für gesellschaftlich notwendige Arbeit aufwenden in der Verfügungsgewalt weniger, die sich anmaßen unsere Zukunft zu bestimmen??? Solange wir die Verfügungsgewalt weniger über die Produktionsmittel nicht angreifen, wird es auch keine demokratische Entscheidung darüber geben, ob die Automobilität den Klimawandel rechtfertigen und die Stadt zu einem Parkplatz degradieren darf.

Die Autoindustrie ist einer der mächtigsten politischen und wirtschaftlichen Akteure in diesem Land und ihr System der Mobilität ist so maßgeblich, dass es auch einen grünen hessischen Verkehrsminister mitten in der Klimakrise dazu bringt als Schirmherr einer Autobahn in Osthessen aufzutreten, für deren Bau im Dannenröder Forst mehr als 100 ha Wald mit bis zu 250 Jahre alten Bäumen fallen sollen.

Der Kapitalismus, in dem wir bisher zu leben gezwungen sind, versorgt zwar Wenige recht üppig mit Profit und Grundrente, zerstört aber langfristig die Lebensgrundlagen aller und zuerst die der wirtschaftlich schwächsten Teile der Bevölkerung – derer, die mit wenig Einkommen zurecht kommen müssen, keinen politischen Einfluss haben, aber alles verändern können, wenn sie solidarisch sind und wenn sie sich wehren. Sie sind die ersten, die unter dem Klimawandel leiden und in der Klimakatastrophe unter die Räder kommen. Nur wenn sie sich wehren wird es eine bewohnbare Stadt und einen Stopp des Klimawandels geben.

Was treibt das Wachstum des Verkehrs an?

Der wachsende Autoverkehr ist kein Naturgesetz, sondern eng verbunden mit anderen Entwicklungen, die das Klima aufheizen und die Städte verwüsten:

Die Verkehrswende und ihre Surrogate. Oder: Rezepte, wie alles beim alten bleiben kann.

Der aktuelle Trend, die Verkehrswende mit einer technischen Innovationswelle zu verwechseln, pflegt die Illusionen, die im allgemeinen mit E-Mobilität und Brennstoffzellen verbunden sind. Diese sollen die Emissionen des Verkehrs reduzieren ohne die Mobilitätsformen und die Infrastruktur des Verkehrs selbst zu verändern. Das Ganze erinnert stark an den lang gehegten Selbstbetrug vom Agrosprit, der angeblich der Schlüssel zum grünen Autofahren werden könne.

Alle genaueren Untersuchungen der letzten Jahre weisen darauf hin, dass selbst bei Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien infolge der hohen Emissionen beim Fahrzeugbau die Emissionsabsenkung der E-Mobilität im Vergleich zu einem konventionellen PKW kaum mehr als 25% betragen wird. Zwar sind die Emissionen der die E-Mobilität im laufenden Betrieb geringer, dafür sind sie beim Fahrzeugbau umso höher. Ob mit E- oder mit Verbrennungsmotor, der Hauptanteil des Feinstaubs, den wir einatmen, stammt von Autoreifen und Straßenabrieb.

Die Brennstoffzelle ist hingegen ein Musterbeispiel der Ineffizienz: Bei der Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse bleiben in der Brennstoffzelle zum Antrieb gerade mal 20% der aufgewandten Energie übrig.

Eine ähnliche Rolle wie die Spekulation, dass eine Kette technischer Innovationen den Klimawandel aufhalten könnte, spielt die Ansicht von Ökonomen, dass der Klimawandel gleichbedeutend sei mit Marktversagen. Ihre Lösung heißt: Geben wir der Atmosphäre einen Preis! Denn was nicht umsonst ist wird hoch geschätzt. Ein angemessener Preis für die Luftverschmutzung mit CO2 würde dazu führen, dass weniger Emissionen entstehen – so der Glaube. Die Bundesregierung versucht es seit 2005. Ob und wie hoch der Erfolg der Emissionsabsenkung in verschiedenen Wirtschaftssektoren auf die Bepreisung zurückgeht, das mag dahingestellt bleiben. In der Praxis ist die Bepreisung im allgemeinen zu gering, um eine wirkliche Lenkungswirkung zu entfalten. Denn: Je höher die Preise, desto geringer die Konkurrenzfähigkeit. Zudem ist sie höchst unsozial. Den Schmerz der steigenden Energie- und Warenpreise spüren nur die, die sowieso wenig zum Leben haben.

Eine CO2-Steuer auf die Emission von Kohlendioxid zu erheben scheiterte bislang daran, dass Länder ohne CO2-Steuer dann automatisch bevorteilt werden. Sie können ihre Produkte auf dem Weltmarkt billiger anbieten. Fällt die CO2-Steuer höher aus flieht das betroffene Kapital ins Ausland, wo es keine CO2-Steuer gibt oder wo der Wert der Arbeitskraft sehr gering ist.

Und was benötigen wir für eine wirkliche Verkehrswende?

Zuerst einmal die Erkenntnis, dass die drohende Klimakatastrophe mehr ist als eine technische Herausforderung. Vieles in Wirtschaft und Alltagsleben kann energiesparender organisiert werden. Zweifellos wird E-Mobilität die Luft verbessern und den Lärmpegel senken. Aber die Flächenversiegelung wird weiter voranschreiten, der Verkehr zunehmen und die Städte immer trostloser werden. Und: Die globalen THG-Emissionen werden auf hohem Stand verharren solange in den kapitalistischen Zentren Europas und den USA die Automobilität als Gradmesser der Modernität und sozialen Hierarchie auch für den Rest der Welt Geltung beansprucht! Kurzum: Wenn wir das nicht schnell und grundlegend verändern, wird das globale System weiter wachsen – insbesondere im Verkehrssektor. Das kapitalistische Weltsystem ist mit seinem Wachstumszwang und der Konkurrenz nicht in der Lage der drohenden Klimakatastrophe zu begegnen.

Wie kann in der kleinen Zeitspanne, die noch bleibt, eine Verkehrswende gelingen? Durch einen schnellen Ausbau des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, durch wachsenden Druck seitens der Stadtbewohner, die Städte vom Autoverkehr zu befreien und durch den Rückbau der Beton- und Asphaltwüsten zu bewohnbaren Stadtteilen zu machen. In einigen wenigen Städten sind in dieser Richtung bereits zarte, selten auch kräftigere Anfänge gemacht worden. In den manchen Städten mag der Öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut sein. Die Autos bleiben dennoch in den Städten, weil Millionen Menschen nur mit den Auto zur Arbeit aus der Stadt kommen oder in die Stadt gelangen und sich für Geringverdiener nie die Frage stellen wird, ob sie den ÖPNV nutzen und ein Auto unterhalten. Der Ausbau des ÖPNV wird nur der Verkehrswende dienen, wenn er nicht auf die Städte beschränkt ist, sondern flächendeckend in engem Takt funktioniert, wenn neue Verbindungen geschaffen werden und wenn er zum Nulltarif angeboten wird.

Das ist die einzige Garantie dafür, dass eine große Zahl von Menschen sehr bald ihre Mobilität verändert. Sie werden ihre Mobilität aber nur ändern, wenn das beseitigt wird, was sie zum Autofahren zwingt. Es gibt keinen Königsweg zur Verkehrswende, aber es gibt notwendige Voraussetzungen für sie: Ohne gesellschaftliche Gleichheit wird es genauso wenig eine Verkehrswende geben wie es sie ohne eine Vergesellschaftung der Autokonzerne und eine Konversion geben wird, die es ihnen erlaubt nützliche statt schädliche Dinge herzustellen.

Eine Verkehrswende wird nur erfolgreich sein, wenn der ÖPNV mit genügend zusätzlichen Transportmitteln ausgestattet ist, um es seinen Nutzern auch in Spitzenzeiten zu ermöglichen die erforderlichen Wege stressfreier als mit dem Automobil zurückzulegen. Diese Transportmittel wiederum müssen gefahren, gewartet, gepflegt und repariert werden. Es werden Menschen gebraucht, die dies tun und die mit dieser Tätigkeit sich ein finanzielles Auskommen schaffen, das zum Leben reicht. Sie wollen, dass ihre Tätigkeit wertgeschätzt wird und mit ihrer Arbeitskraft kein Schindluder getrieben wird. Zur Zeit sind Angestellte im ÖPNV – von der Reinigungskraft bis zum Fahrer – mies bezahlt, arbeiten im Schichtdienst und sind häufig wiederkehrendem Stress ausgesetzt. Die Fahrerberufe sind zur Zeit dermaßen unbeliebt, dass jeder Ausbau des ÖPNV schon am personellen Nadelöhr scheitern wird. Genau diese Misere ist symptomatisch für das herrschende politische und ökonomische System. Die Mehrheit seiner Regierenden, von der Bürokratie über den Minister bis zum Bürgermeister, pflegen die Praxis, dass die Verkehrswende sich schon von selbst erledigen wird. Durch Technik? Durch Einpreisung der Umweltschäden? Nichts wird sich von selbst erledigen, nichts wird sich bewegen, wenn wir nicht aufstehen, streiken, demonstrieren, Bäume und Kohlebagger besetzen, um einen weiteren Bau von Autobahnen und Flugplätzen zu verhindern.

Aktionsformen zum Nulltarif – Ein Vortrag von Jörg Bergstedt aus der Projektwerkstatt Saasen

Mit dem Nulltarif im ÖPNV zur Verkehrswende oder mit dem Elektroauto in die Sackgasse – Mitschnitt des Vortrags von Winfried Wolf bei unserer Veranstaltung vom 11.04.2019 in Mainz

Sackgasse Auto. Einziger Fluchtweg: Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) zum Nulltarif.

Der Begriff der Sackgasse ist hier nicht polemisch gemeint:

Weniger ist mehr

Kraftstoffverbrauch von Pkw und Kombi in Millionen Litern
199520002005201020112012201320142015 2016
Benzin39.81638.12935.52027.72427.70526.28325.73825.71225.30425.309
Diesel7.447826012.74016.14916.61317.49918.43919.29320.02020.817
Summe47.26346.38945.26043.87344.31843.78244.17745.00545.32446.126
199520002005201020112012201320142015 2016
Benzin100%96%82%70%70%66%65%65%64%64%
Diesel100%111%171%217%223%235%248%259%269%280%
Summe100%98%96%93%94%93%93%95%96%98%
Der steigende Kraftstoffverbrauch in der BRD ist das Resultat einer immer weiter steigenden Zahl angemeldeter Kfz und einer wachsenden Größe/steigenden Gewichts der PKWs. Hinter dem steigenden Kraftstoffverbrauch stehen mehr CO2-Emissionen, mehr Ozon, mehr Feinstaub, mehr Lärm, mehr Blech, mehr Asphalt etc. Die Emissionen steigen, obwohl das einzelne Kfz immer sparsamer läuft.
Die oben genannten Schadstoffemissionen werden von mehr Menschen ernster genommen als je zuvor. In der BRD war es letztlich die Umwelthilfe, die per Gerichtsbeschluß den Ignoranten aus Autoindustrie und Staat Beine machte. Es ist seitdem noch nichts passiert. Aber das Wissen um die Sachverhalte bleib.
Jährlich fordert der Autoverkehr in der BRD mehr als 3000 Tote und durch Unfälle mehr als 300.000 Verletzte. Die Zahl der weltweiten Verkehrstoten durch Kfz gibt die WHO für 2015 mit 1,25 Mill. an. Das mag zwar moralisch entrüstungswürdig sein: Es führt aber zu nichts, solange die individuelle Kfz-Mobilität als FortschrittWir sehen diesen vom Mehrwert geregelten Fortschrittsbegriff auch dort am Werke, wo schulterzuckend und im vollen Wissen der Zusammenhänge hingenommen wird, dass die massenhafte Produktion von Smartphones kaum weniger Blut und Knochen kostet als der Autoverkehr. gilt und die Kfz-Industrie als das Rückgrat des Exports im Modell Deutschland (2017 mit 18,3% der Exporte noch vor dem Maschinenbau mit 14,4%).
Nun können wir konstatieren, dass es jedes Jahr einen Zuwachs an Kfz nicht nur in der BRD, sondern auch in Rheinland-Pfalz und in Mainz gibt. Und es gibt jedes Jahr einen Zuwachs an automobilbürtigen CO2-Emissionen – trotz aller Rederei über Klimaschutz und Pariser Verträge. Wir können noch hinzufügen, dass durch den Dieselskandal eine ganze Reihe statistischer Daten zum Emissionsverhalten der BRD korrigiert werden muss: Die Jahreswerte für CO2 wie auch für Stickstoffoxidemissionen werden höher ausgefallen sein als bisher angenommen:
„Nicht nur bei den Schadstoffen, auch bei Verbrauch und CO2-Ausstoß gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen offiziellen Herstellerangaben und der Realität. So liegt der tatsächliche Verbrauch auf der Straße laut aktueller Analyse des ICCTInternational Council on Clean Transportation Europe für Neufahrzeuge des Jahres 2016 inzwischen im Schnitt um 42 Prozent über den offiziellen Herstellerangaben. Dies hat zur Folge, dass die CO2-Emissionen von Neufahrzeugen zwar auf dem Papier deutlich sinken, sie aber tatsächlich in den letzten fünf Jahren vielmehr stagniert sind. Auch wenn seit September 2017 ein realitätsnäheres Messverfahren, der sogenannte WLTP, gilt, sind künftig Abweichungen zwischen Distickstoffoxid-Herstellerangaben und Realität nicht auszuschließen. Denn auch der WLTPWorldwide harmonized Light vehicles Test Procedure beruht nach wie vor auf einem Rollenprüfstandstest.“
(VCD: EU setzt Vorgaben für PKW; https://www.vcd.org/themen/auto-umwelt/co2-grenzwert/)
Das hat mitnichten nur Auswirkungen auf die Treibhausgas (THG)-BilanzenTreibhausgase sind CO2, Methan, Distickstoffoxid, Ozon. , sondern auch auf die steuerlichen Veranlagungen der einzelnen Pkw. Die zunehmenden Diskrepanzen zwischen den Herstellerangaben (die die Hauptkomponenten der offiziellen Emissionsstatistiken bilden) und den stichprobenartigen Messungen des realen Verbrauchs resp. der THG-Emissionen waren bereits 2013 und 2014 Thema zweier Untersuchungen des ICCT. Die Diskrepanzen lagen 2001 noch bei ca. 8% und stiegen 2013 auf 38%. Wenn bei der Kfz-Steuer vermehrt CO2-Emissionswerte zur Berechnung herangezogen werden, um der Kundschaft Anreize zum Kauf emissionsarmer Kfz zu bieten, dürfte der monetäre Verlust des Fiskus mittlerweile erheblich sein. Die Schätzung beläuft sich z.Zt. auf 240 Mill. € für jeden neu angemeldeten Jahrgang in der BRD. Das ernüchternde Fazit: Die Diskrepanz zwischen Norm und messbarer Realität war allen sogen. Entscheidungsträgern bekannt und sie entschieden sich nichts zu tun. Kritiker gingen bislang (gutgläubigerweise) davon aus, dass diese Diskrepanzen der Nutzung legaler Schlupföcher im Mess-System zuzuschreiben seien: Ausschaltung von Klimaanlagen im Testmodus etc. Dazu waren die Diskrepanzen aber zu groß und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Betrug in der Öffentlichkeit bekannt wurde.

Mainz

Die Zahl zugelassener PKWs stieg in Mainz von 93.416 im Jahr 2014 auf 97.320 im Jahr 2017 (Quelle: KBA) https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/ZulassungsbezirkeGemeinden/2017/2017_zulassungsbezirke_node.html . In Rheinland-Pfalz stieg die PKW-Anzahl von 2.223.969 im Jahr 2010 auf 2.449.404 im Jahr 2017. (Statista: Bestand an Personenkraftwagen in Rheinland-Pfalz von 2008-2018). Mehr Kfz=mehr Emissionen? Nicht ganz, aber fast!
In Mainz war die Problematik der Diskrepanz zwischen Norm und Realität genauso spürbar wie in anderen Städten auch:
Die bundesweiten NOx -Emissionen (Stickstoffdioxid) sollten (lt. Daten des UBA) von 2010=560.000t auf 455.000t=2015 gesunken sein. Das ist eine Verringerung um 18,80%.
Was sind Stickoxide? Stickoxide reagieren mit Luftsauerstoff teils zum giftigen Stickstoffdioxid (NO2 ). Die Verbindungen kommen in der Natur selbst nur in geringen Mengen vor. Sie stammen vor allem aus Autos und Kraftwerken. Stickstoffdioxid greift die Schleimhäute und Augen an, kann zu Entzündungen der Atemwege führen und langfristig Asthma und Bronchitis auslösen. Auch Herz- und Kreislaufprobleme sind möglich.
Stickoxide führen auch zur Bildung von Salpetersäure und saurem Regen. Weitere negative Auswirkungen sind Bildung von sogenanntem Ozon- oder Sommersmog unter UV-Einwirkung. Außerdem tragen Stickoxide durch die Reaktion mit Ammoniak zur Feinstaubkonzentration bei.
In der aktuellen Debatte um Luftverschmutzung sind mit dem Begriff der Stickstoffoxide ( NOx ) Stickstoffdioxid (NO2 ), Stickstoffmonoxid (NO) und eine ganze Reihe anderer Stickstoffverbindungen gemeint.
Grenzwert NOx :
Grenzwerte für die Schadstoffe Stickstoffdioxid (NO2) und Stickstoffoxide (NOx)
BezeichnungMitteilungszeitraumGrenzwertZeitpunkt, ab dem der Grenzwert einzuhalten ist
Stunden-Grenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit1 Stunde200μg/m³ NO2 dürfen nicht öfter als 18mal im Kalenderjahr überschritten werden 1. Januar 2010
Jahresgrenzwert für den Schutz der menschlichen GesundheitKalenderjahr40μg/m³ NO2 1. Januar 2010
Kritischer Wert für den Schutz von ÖkosystemenKalenderjahr30μg/m³ NOx 19. Juli 2001
Zum Schutz der menschlichen Gesundheit wurde europaweit für Stickstoffdioxid der 1-Stunden-Grenzwert von 200 μg/m³ festgelegt, der nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden darf. Der Jahresgrenzwert beträgt 40 μg/m³. (UBA)
Die Mittelwerte für NOx (Stickstoffdioxid) des Jahres 2017 liegen an verschiedenen Mess-Stellen in Mainz über den Grenzwerten der EU.
Die NOx-Werte für Mainz:
Messnetz Jahresmittelwert in μg/m³ Zahl der Tageswerte >200μg/m³
2017 2016 2015 2010 2017 2016 2015
Rheinallee (Verkehr) 36 39 40 45 0 2 9
Zitadelle (Hintergrund) 33 36 39 41 0 0 0
Gr. Langgasse (Verkehr) 42 42 45 45 0 0 3
Mombach (Hintergrund) 23 24 23 28 0 0 0
Parcusstr. (Verkehr) 48 53 57 61 0 10 1
Während (s.o.) die Sollwerte der bundesweiten NOx -Emissionen (Stickstoffdioxid) um 18,80% sanken haben sich die Jahresmittelwerte für NOx -Emissionen an den 5 Mainzer Mess-Stationen im gleichen Zeitraum nur um 7% verringert Von 44 auf 41μg/m³ . Nun sind diese Jahresmittelwerte nur ein Trend, weil es durchaus sein kann, dass den Werten in den einzelnen Jahren ein leicht unterschiedliches Verkehrsaufkommen zugrunde liegt. Tatsache aber bleibt:
  1. dass der durchschnittliche Jahresgrenzwert an den Mess-Stationen über dem seit 2010 festgelegten EU-Grenzwert von 40 μg/m³ liegt und
  2. die Anzahl der Tageswerte >200μg/m³ im Jahr 2015 in der Gr. Langgasse bei 3 und in der Rheinallee bei 9 lag und
  3. die Diskrepanz zwischen der Abnahme der bundesweiten Sollwerte und den durchschnittlichen Ist-Werten an 5 Mainzer Mess-Stationen ihre Erklärung möglicherweise in den „geschönten“ Ich schreibe „geschönt“ in Anführungszeichen, weil in Wirklichkeit es das UBA war, das schon sehr früh darauf aufmerksam machte, dass bei den amtlichen Statistiken, wo Sollwerte der Autoindustrie eine dominante Rolle spielen, irgendwas nicht stimmen konnte. Das UBA rangiert in der Hierarchie der Staatsapparate ganz unten, was erklärt, dass seine Einsprüche keinerlei Wirkungen zeigten. Statistiken des UBA findet.
Die Feinstaubemissionen sind laut UBA zu ca. 20% dem Verkehr anzulasten (er gelangt nicht nur aus Motoren – vorrangig aus Dieselmotoren – in die Luft , sondern auch durch Bremsen- und Reifenabrieb sowie durch die Aufwirbelung des Staubes auf der Straßenoberfäche). Der Rest geht auf das Konto von Industrie, Stromerzeugung und Landwirtschaft. Das UBA definiert Feinstaub als „Teilchen in der Luft, die nicht sofort zu Boden sinken, sondern eine gewisse Zeit in der Atmosphäre verweilen.“ Feinstaub besteht aus einem Gemisch verschiedener Partikel. Unterschieden wird dabei zwischen PM10, Feinstaubpartikeln mit einem maximalen Durchmesser von 10 Mikrometern, PM2,5 mit maximal 2,5 Mikrometern Durchmesser, und ultrafeinen Partikeln mit einem Durchmesser von unter 0,1 Mikrometer. Wenn von hohen Feinstaubwerten die Rede ist, ist damit in der Regel PM10 gemeint. Für die kleineren Partikel gibt es keinen tagesbezogenen Grenzwert und der Jahresgrenzwert wird in der Regel in Deutschland nicht überschritten.
Grenzwert Feinstaub: Der EU-Grenzwert von PM10 (Partikelgröße < 10 μm) liegt beim Jahresmittel von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (μg/m³) und bei 35 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr. Laut WHO-Empfehlung sollte der Jahresmittelwert 10 μg/m³ für PM2,5 und 20 μg/m³ für PM10 allerdings nicht überschreiten.
Die Feinstaubemissionen in Mainz an 3 Mess-Stationen:
Messnetz Jahresmittelwert in μg/m³ Zahl der Tageswerte >50μg/m³
2017 2016 2015 2017 2016 2015
Mz-Mombach 17 18 19 10 3 6
Parcusstr. 24 22 24 18 7 15
Zitadelle 20 19 20 12 3 10
Im internationalen Vergleich hat die BRD hohe Grenzwerte. Neben der WHO, deren Grenzwerte nicht verpfichtend sind, gibt es zahlreiche staatenspezifsche Grenzwerte:
PM2,5 PM10
EU 25 40
WHO 10 20
USA 12 -
Singapur 12 20
Kalifornien 12 20
Japan 15 -
swr-#abgasalarm
Die Hauptemittenten von Ozon sind Feuerungsanlagen und der Verkehr. Für die Ozonkonzentration gibt es eine Informationsschwelle von 180 μg/m³ (1-Stunden-Wert der orangefarbenen Linie) und eine Alarmschwelle von 240 μg/m³ (1-Stunden-Wert der roten Linie). Ab einem Ozonwert von 180 μg/m³ werden dazu über die Medien Verhaltensempfehlungen an die Bevölkerung gegeben. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist ein Zielwert festgelegt: Der maximale 8-Stunden-Wert eines Tages darf an höchstens 25 Tagen pro Kalenderjahr, gemittelt über 3 Jahre, den Wert von 120 μg/m³ (grüne Linie) überschreiten.
Ozonwerte in Mainz Mombach vom 30.06.2018 bis 28.07.2018 https://www.wetteronline.de/ozonwerte/mainz
Distickstoffoxide, Ozon und Feinstaub sind gemeint, wenn es um Schadstoffbelastung er Luft in Ballungsräumen geht. Die CO2-Emission ist eine Klimagasemission mit geringer Ortswirkung und großer Globalwirkung. Wenn von ihr die Rede ist geht es nicht mehr um Mainz oder das Rhein-Main-Gebiet, sondern um Beiträge zur globalen Klimaerwärmung. Zwei Emissionen gleichen Ursprungs und grundverschiedener Wirkung.

Tarifloser ÖPNV/Bürgerticket

Die Forderung nach einem tariflosen ÖPNV entspringt der Gewissheit, dass die Unwirtlichkeit der Städte und die sich verschärfende Klimakrise durch steigende THG-Emissionen schnelle und effektive Veränderungen des Verkehrs notwendig machen, weil bislang alle marktsteuernden Anreizsysteme und gesetzlichen Vorgaben versagt haben. Der tarifose ÖPNV motiviert vor allem städtische Autofahrer zum Umstieg auf Bus & Bahn. Es sind ja überall vor allem die Geringverdiener, die einen überproportionalen Anteil ihres Einkommens für Mobilität ausgeben müssen: Fahrten zum Arbeitsplatz, zum Einkauf, Besuch von Freunden und Verwandten. Der tariflose ÖPNV hat fast nur Vorteile: Der tarifose ÖPNV rettet Menschenleben (jedes Jahr sterben mehr als 3.000 Personen urch Autounfall), verringert z.T. lebenslange Körperschäden und Behinderungen (2017 verursachte der Autoverkehr in der BRD 311.000 Verletzte), sorgt für bessere Luft, weniger Gestank, weniger Lärm, verringert entscheidend die Emission von THGs, spart gewaltige Mengen Energie, spart 350-700 €/Monat an Kfz-Kosten und schaft überall, in der Stadt wie auf dem Dorf, Platz… anstelle endlos aufgereihter Autokolonnen.
Der tarifose ÖPNV bevorteilt vor allem Bürger mit schmalem Budget, weil sie an der Mobilität teilhaben können, ohne sich krumm zu legen. Im Kapitalismus ist Mobilität ein sehr ungleich verteiltes Privileg. Wenn Mobilität zum gleich verteilten Gemeingut wird gewinnen vor allem die, die keine Privilegien (hohes Einkommen, ruhige Wohnlage) genießen.
Wie finanzieren? Die Frage beantwortet sich angesichts der Einsparungen, die sich im Gefolge eines abnehmenden Autoverkehrs einstellen werden, von selbst. Die Anschubfinanzierung, in der die kfz-gesteuerte Mobilität mit dem neuen System des tariffreien ÖPNV koexistieren muss, kann durch eine einkommensabhängige Nahverkehrsabgabe oder auch über Steuereinnahmen finanziert werden.
Tarifloser ÖPNV ist Klimapolitik: Statt Dieselsubventionen, milliardenschweren Ausbaumaßnahmen des Straßensystems, milliardenschwerer Belastung des Gesundheitssystems, milliardenschwerer Subventionen in ein Elektroauto der Zukunft, das sich bald als Energiefresser und Klimakiller entpuppen wird, ist der tariflose ÖPNV die erste Form praktischer Klimapolitik im Verkehrssektor. Der tariflose ÖPNV ist das Verkehrskonzept der Zunft und das Auto ein Auslaufmodell. Die TU Dresden hat in einer Studie errechnet, dass in der BRD jedes Automobil mit ca. 2.000,00 €/Jahr subventioniert wird (U.Becker; T.Becker; J.Gerlach: Externe Autokosten in der EU-27, S.37). Die Studie erschien 2012 und bezieht sich auf Daten aus dem Jahre 2008

Ein entschiedenes Nein zur Autogesellschaft

Kein Produkt prägt heute unser Leben mehr als das Auto. Ja die konkreten Ausformungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind von der Existenz der Autoindustrie – und aller mit ihr verbundenen Bedingungen und Strukturen (von der Ölindustrie und den darum geführten Kriegen bis zum Städtebau) – so stark beherrscht, dass wir von einer Autogesellschaft sprechen müssen. Sie bestimmt ganz wesentlich die Gestaltung aller Lebensbereiche, auch wenn wir uns dessen im Alltagsleben gar nicht immer bewusst sind. Dies geht so weit, dass mensch sich kaum noch eine Alternative vorstellen kann. Viel zu unwiderruflich oder „naturgegeben“ erscheinen diese Strukturen den Menschen, auch denen, die auf die Autogesellschaft fluchen.
Was in unsrer Gesellschaft vordergründig als ideologische Fixierung auf das Auto (Pkw) erscheinen mag, ist in Wirklichkeit nur die Anpassung an die sehr materiellen kapitalistischen Verhältnisse, wie sie sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben. Wer die volle Tragweite der Autogesellschaft erfassen will, muss zunächst die stoffliche Transformation des Kapitalismus im 20. Jahrhundert zur Kenntnis nehmen. Winfried Wolf gebührt das Verdienst, dies an Hand umfangreicher Untersuchungen dargelegt zu haben, vor allem mit seinem Standardwerk „Eisenbahn und Autowahn“, Hamburg (Rasch und Röhring) 1987 An dieser Stelle verweisen wir speziell auf: Winfried Wolf: „Fusionsfieber. Oder: Das große Fressen. Globalisierungsmythos – Nationalstaat – Wirtschaftsblöcke“ (vor allem Teil III), Köln (PapyRossa) 2000.. Sie seien den interessierten LeserInnen wärmstens empfohlen.
Die Interessen, die sich seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Pkw-, Lkw- und Flugzeugindustrie durchsetzten, hatten weitreichende Folgen:

Der Autogesellschaft ist ganz gewiss nicht mit ideologischen Kampagnen gegen „des Deutschen liebstes Kind“ oder mit Appellen zu einem individuellen Beitrag „Auto stehen lassen“ beizukommen. Es geht um gewaltig viel mehr als um „weniger Auto fahren“. Grundlegende Strukturen müssen umgestoßen werden.

Die Autogesellschaft steuert ins Chaos


Heute werden mehr als 90% der gesellschaftlichen Transportleistung auf der Straße abgewickelt. Aber selbst nach kapitalistischen Maßstäben wäre eine Weiterentwicklung der Bahn und ein umfassender Ausbau des Öffentlichen Personen Nahverkehrs (ÖPNV) möglich gewesen. Das hätte allerdings dem Kapital im Verlauf der letzten 50 Jahre weltweit (in den Metropolen seit 70 Jahren und speziell in den USA seit 100 Jahren) bedeutend weniger Profite eingebracht.
Aus gesellschaftlichen Gründen – also aus Gründen des tatsächlichen Wohls der Mehrheit der Menschen – wäre die Entwicklung gemeinschaftlicher Transportmittel das Sinnvollste gewesen. Aber gewaltige gesellschaftliche Mittel wurden umgeleitet, um mit riesigen staatlichen Investitionen der privatwirtschaftlich profitierenden Auto- und Ölindustrie die Voraussetzungen für das Niederkonkurrieren der Bahn und die Durchsetzung des motorisierten Individualverkehrs zu ermöglichen.
Das Ergebnis heute ist nicht nur eine völlige Abhängigkeit der Menschen von den Strukturen der Autogesellschaft. Aufgrund leerer öffentlicher Kassen (und teilweise schon aus schieren Platzgründen) können gar nicht mehr so viele Straßen gebaut werden, wie es die ständig steigende Verkehrsleistung für die Autogesellschaft erfordern würde. Da helfen auch keine Verkehrsleitsysteme, sie werden nur zunehmend zu einem schlechten Witz. Das Ergebnis ist eine wachsende Verstopfung der Straßen und ein Verlust an verlässlicher Mobilität, v. a. ein Verlust an Zeit und Lebensqualität auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Doch werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Gründe für die Durchsetzung der Automobilindustrie und des Straßenverkehrs. An dieser Stelle folgen wir weitgehend W. Wolf: „Sackgasse Autogesellschaft. Höchste Eisenbahn für eine Alternative“, Köln (Neuer ISP Verlag) 1993³:
  1. Der Automobilverkehr ermöglicht es dem Kapital in idealer Form, den Verkehrsträger (hier die Straße) vom Fahrzeug zu trennen. Die großen Investitionen – also der Straßenbau und alles, was damit zusammenhängt – wurden der Gesellschaft aufgeladen, der Profit durch den Verkauf von Pkw und Lkw sowie der Erdölprodukte blieb fest in den Händen des Kapitals. Würde dies auch bei der Bahn so umgesetzt, wäre sie sogar heute noch – nach jahrzehntelanger Vernachlässigung – wirtschaftlicher als der Straßenverkehr. Nach einer Berechnung des Verkehrsministeriums der Volksrepublik Polen von 1978 kommt der städtische Pkw-Verkehr die Gesellschaft ca. 35-mal teurer als der mit Straßenbahnen. Nicht grundlegend anders sind die Relationen bei uns, jedenfalls dann, wenn tatsächlich alle Kosten von den Verkehrswegen bis zu den Unfallkosten (Krankenhausaufenthalte etc.) mitgerechnet werden.
  2. Die erforderlichen Investitionen in den Verkehrsträger Bahn sind so groß, dass ein privater Betreiber sie nicht leisten kann. Er kann sich bestenfalls ein paar Rosinen rauspicken, denn die Kosten für den Bau von Bahnlinien (Bahnhöfen etc.) müssen über 50 und mehr Jahre abgeschrieben werden, was der Maxime nach kurzfristiger Realisierung des Mehrwerts (d. h. seine Umwandlung in Profit) völlig widerspricht.
  3. Im Gegensatz dazu gelang es der Automobilindustrie die Regierenden (fast) in aller Welt davon zu überzeugen, dass aus gesellschaftlichen Mitteln die Infrastruktur für den Individualverkehr bereitgestellt wurde. Mehr noch: Auch und gerade der Lastverkehr wurde in den vergangenen 60 Jahren in Europa (und schon seit den 20er Jahren in den USA) mit gesellschaftlichen Mitteln (über den Bau der entsprechenden Verkehrswege) auf die Straße gebracht und damit die Bahn in einem wesentlichen Bereich niederkonkurriert. Dabei sind gerade die Lkw zu über 95% für die Straßenschäden verantwortlich. Rechnet mensch alle Investitionen zusammen (vor allem den Straßenbau mit all seinen Folgekosten) so kommen wir auf folgende Summen: Vom 1.1.1965 bis 1984 beliefen sich die Bahnkosten auf 41 Mrd. DM, beim Straßenbau waren es 76 Mrd. (Der Spiegel schreibt dazu: „Doch auch dies ist nur eine höchst unvollständige Rechnung…“)
    Trotz der vollkommen verzerrten Ausgangsbedingungen deckt der Bahngüterverkehr heute 66% der Wegekosten, der Straßengütertransport nur 64%. Wäre die Bahn nicht – im Gegensatz zum Straßenverkehr – gezwungen, für ihre Investitionsmittel teure Kredite aufzunehmen und dafür jährlich allein ca. 1 Mrd. € Kapitaldienst (Zins und Tilgung) zu leisten, sähe es mit den Kostenrelationen noch ganz anders aus.
    Rechnet man wirklich alles ein, so war der Kostendeckungsgrad beim Gütertransport auf der Straße Ende der 80er Jahre gerade mal bei 15% und ist seitdem noch weiter gesunken. Erst mit der Lkw-Maut ist er wieder ein wenig angestiegen.
    Am extremsten ist die Verzerrung beim Flugverkehr. Obwohl dieser vom Energieverbrauch her am ineffizientesten und ökologisch am verheerendsten ist, wird Kerosin nicht besteuert (die Bahn zahlt die vollen Energiepreise + Mehrwertsteuer).
  4. Am unmittelbarsten ist die Benachteiligung der Bahn – bzw. des gesamten Gemeinschaftsverkehrs – beim Streckennetz und der Fahrplandichte und somit bei der Verfügbarkeit für die Menschen. Seit dem II. Weltkrieg wurde das Streckennetz der Bahn drastisch reduziert, 1986 umfasste es bereits weniger als 30 000 km, heute sind es nur noch ca. 20 000 km. Nicht in Strecken, sondern in Gleisen ausgedrückt: Die Bahn verfügt heute über 65 000 km Gleise und will bis 2010 weitere 5000 km abbauen!
    Von 1950 – 1986 wurden 140 000 km Straßen gebaut. 1979 waren es insgesamt schon 469 000 km. Jährlich kommen ca. 1000 km hinzu. Auch das ist – neben der staatlichen Bezuschussung des Straßenverkehrs – ein wesentlicher Grund dafür, dass der Güterverkehr so drastisch von der Bahn auf die Straße verlagert wird. (Schon 1993 wurden 238 Mrd. tkm auf der Straße befördert, gegenüber 66 Mrd. tkm auf der Bahn).

Die gesamtgesellschaftlichen Kosten des Straßenverkehrs


Listet mensch die gesamten Kosten auf, die der Straßenverkehr (nicht zu verwechseln mit den Gesamtkosten der Autogesellschaft) tatsächlich verursacht, die aber zum großen Teil auf die Gesamtgesellschaft abgewälzt werden, so kommt mensch zu gewaltigen Summen. Viele Aspekte werden gemeinhin gar nicht erkannt oder sie werden bewusst verdrängt, bzw. von den Profiteuren der Autogesellschaft geleugnet. Einiges davon ist nicht in Euro und Cent bezifferbar:
Bedenkt mensch, dass ein Auto im Schnitt nur mit 1,2 Personen besetzt ist, bedenkt mensch weiter, dass die gewaltigen Investitionen in den Straßenbau, in Parkplätze und dergleichen nicht privat bezahlt werden – die Benzinsteuer deckt nur (je nach Fahrzeugart) 64-85% dieser Kosten – so ist schon auf dieser Ebene der Autoverkehr ökonomischer Wahnsinn. Aber es kommen viele andere Aspekte hinzu.
Die Kosten für durch den Straßenverkehr verursachte Verletzungen oder Verrentungen werden auf die sogenannte Solidargemeinschaft abgewälzt. Dies ist deswegen so bedeutsam, weil der Straßenverkehr – im Besonderen der Individualverkehr, vor allem auf den Autobahnen – eine viel größere Unfallträchtigkeit aufweist. Jedes Jahr sterben allein auf deutschen Straßen 6 – 8000 Menschen, 600 000 werden verletzt (in Frankreich z. B. sind die Zahlen noch höher). Umgerechnet auf die Fahrleistung ergibt sich damit nach den vorsichtigen Berechnungen ein Verhältnis von 1:10 bei den Toten und 1:50 bei den Verletzten zugunsten der Bahn. Zieht man – wie die Bahn dies tut – die Selbstmörder ab, die sich vor die Bahn werfen, fällt das Verhältnis noch weitaus günstiger für die Bahn aus.
Hinzu kommt, dass etwa die Hälfte der Verletzten aus dem Straßenverkehr gar nicht erfasst wird und (so Die Zeit vom 26.2.93. über eine Untersuchung von Prof. H. Hautzinger für das Bundesamt für Straßenwesen): Viele Toten werden als Verletzte gezählt, weil das Todesdatum mehr als 30 Tage nach dem Unfall eintritt.
Die Unfallkosten, die z. B. ein Verursacher aufgrund von Selbstbeteiligung oder wegen drohender Rabattverluste zahlt, werden ebenfalls von keiner Statistik erfasst, müssen aber den Kosten des Straßenverkehrs zugerechnet werden.
Am wenigsten zu „berechnen“ sind folgende Auswirkungen:
Die Landschaftszerstörung: Der Straßenverkehr erfordert dreimal so viel Fläche wie der Schienenverkehr. Würde gar die Autogesellschaft gekippt (was mehr ist als nur den Verkehr auf die Schiene zu verlagern) sähe das Verhältnis noch viel drastischer aus.
Umweltschäden: Darüber ist so viel geschrieben worden, dass dies hier nicht im Einzelnen wiederholt werden muss. Nur so viel: Der Autoverkehr ist für die Hälfte der gesamten Umweltbelastung verantwortlich. Nicht anders ist es bei den Gebäudeschäden, über die allerdings in der Öffentlichkeit weniger gesprochen wird.
Noch gravierender ist es bei den Gesundheitsschäden, vor allem die durch Abgase verursachten Atemwegserkrankungen und Krebs. Ein weiterer Aspekt, der gemeinhin vollkommen unterschätzt wird, ist die Verlärmung von Stadt und Natur. Dies hat sowohl weitereichende Auswirkungen auf die Gesundheit wie auch auf die allgemeine Lebensqualität. Vor allem der dadurch verursachte Schlafentzug bzw. die Schlafstörungen treffen Millionen von Menschen. Ähnlich ist es übrigens beim Flugverkehr, der im Umkreis von bis zu 40 km um die Flughäfen (v. a. in den Abflugschneisen) Hunderttausende (man spricht von bis zu einer Million Menschen) martern. Das Ohr ist pausenlos im Einsatz. Lästig ist vor allem der flächenbezogene Dauerschallpegel. Der akustische Lärm wirkt sich als Stress aus (erzeugt Bluthochdruck und erhöht deutlich das Herzinfarktrisiko). Er zermürbt die Menschen, zerrt an den Nerven, stört die Kommunikation und alle schöpferischen Aktivitäten. Erholung und Schlaf werden stark beeinträchtigt. Bei einer Untersuchung für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin wurden Schallpegel gemessen: Bei einem Verkehrsaufkommen von 1000 Kfz/24h liegt der Beurteilungspegel in 10 m Abstand bei ca. 57 dB(A) und in gut 50 m Entfernung bei ca. 46 dB(A). Bei einem Verkehrsaufkommen von 10 000 Kfz/24h (=Typisch für Nebenstraßen) treten in den benachbarten Grünanlagen bereits weitereichende Belastungen durch Lärm auf. Hier beträgt der Beurteilungspegel in 50 m Entfernung noch 56 dB(A). In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass der Lärm dieser Nebenstraßen etwa 50 – 250 m in die Grünflächen hineinwirkt und dort ein Beurteilungspegel von ca. 45 – 50 dB(A) verursacht.
Dabei geht es nicht um Dezibelwerte, bzw. nicht nur, sondern um die Empfindung von Ruhe. Und genau die kommt bei einem Dauerschallpegel, der als akustischer Abfall (also als lästiges Geräusch) empfunden wird, nicht auf. Der Mensch braucht aber Phasen der Ruhe, vor allem nachts. Da mensch den Schallpegel immer auf die Situation bezieht, kann es beim Messverfahren nicht um einen flächendeckenden Mittelungspegel gehen, denn dies steht im Widerspruch zur menschlichen Wahrnehmung.
Der Stand der Wirkungswissenschaften geht von 30 – 32 dB(A) am Ohr aus. Zurzeit gelten die Richtwerte der 16. BIMSchV. Für nachts ist dort ein Grenzwert von 49 dB(A) (!!) festgelegt, und selbst der wird heute in der BRD für Millionen von Menschen überschritten. In der Stellungnahme des BUND heißt es: „Im Bereich der freien Landschaft sind (…) zum Schutz der Erholungsfunktion des Menschen Qualitätsziele und konkrete Standards für technisch-anthropogene Lärmwirkungen erforderlich, die die Aufenthalts- und Erlebnisqualität der freien Landschaft und der Natur nicht wesentlich beeinträchtigen (etwa < 40 dB(A) Stellungsnahme_Umgebungslaerm.pdf.“

Die Krankheitskosten sind am schlechtesten zu beziffern, doch sei stellvertretend wenigstens eine Zahl in Sachen Feinstaub angeführt: „Jedes Jahr sterben allein in Deutschland mehr als 65 000 Menschen, weil die Luft so dreckig ist. Zu den wesentlichen Ursachen gehören die Abgase von Personen- und Lastkraftwagen.“ (Süddeutsche Zeitung, 21.3.05). Der Spiegel (4.4.05) schreibt: „Die Brüsseler Verkehrsspitzen sind berüchtigt. Untersuchungen zufolge sinkt die Lebenserwartung der Einwohner wegen der Luftverschmutzung ihrer Stadt um durchschnittlich 36 Monate.“

Schließlich die Unwirtlichkeit der Städte: Sie ist auch eine Folge der Verlärmung aber nicht nur. Die Städte sind deswegen so unwohnlich, weil der öffentliche Raum vollkommen vom Auto beherrscht wird. Die Autos fahren schnell und sind eine ständige Unfallgefahr; sie sind laut, sie verpesten die Luft, sie stellen die Räume zu (selbst teilweise die Bürgersteige, sodass nicht mal ein Kinderwagen durchpasst), kurz: Wer es sich leisten kann, zieht aus der Stadt raus (und braucht spätestens dann ein Auto zum Einkaufen, für den Arzt, für die Ämter, zur Arbeit usw.). Schon Brecht formulierte: „Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte.“


Welche Mobilität?


Der Städteplaner Wagner schrieb 1956: „Das Verkehrsbedürfnis eines Großstädters westlicher Zivilisation beläuft sich pro Nase und Jahr auf etwa 1000 Zielbewegungen, von denen 650 fußläufigen Charakter hätten, wenn sie vom Städtebauer richtig geplant worden wären, von denen die restlichen 350 Bewegungen nur mit Hilfe von privaten und öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.“ zitiert nach W. Wolf: „Sackgasse Autogesellschaft…“ a.a.O. S. 89
Zu diesen Zielbewegungen gehört im Wesentlichen: der Weg hin und zurück zur Arbeit, zur Ausbildung, zum Einkaufen und zum Arzt sowie der Freizeit- (Kino, Sport etc.) und Urlaubsverkehr. Interessanterweise hat sich die Gesamtzahl der Zielbewegungen seit fast 100 Jahren nicht messbar erhöht. Was sich allerdings deutlich erhöht, ja vervielfacht hat ist die Gesamtstrecke, die von den Menschen zurückzulegen ist, wobei hier der Urlaubsverkehr noch nicht mal so sehr ins Gewicht fällt.
Entscheidend ist, dass es heute kaum noch fußläufige Zielbewegungen gibt. Vor der Durchsetzung der Autogesellschaft (also in Deutschland auf jeden Fall bis Ende der 20er Jahre) fanden 95% des Personentransports per pedes (zu Fuß), per Fahrrad oder per Straßenbahn statt.
Beim heutigen Stand der Technik und der heutigen Bedürfnisstruktur wäre es allemal möglich, wieder mindestens zwei Drittel aller Zielbewegungen entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad und das restliche Drittel ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen und zwar ohne Einschränkung der Mobilität, aber mit deutlich mehr Lebensqualität.
Dies setzt allerdings eine völlige Abkehr von der Autogesellschaft voraus und in der Konsequenz so viele Veränderungen, dass – will mensch dies wirklich erreichen – eine andere Gesellschaftsordnung durchgesetzt werden muss. Wenn wir mehr Lebensqualität wollen – nicht nur aber ganz besonders für die Schwachen in dieser Gesellschaft: Kinder, Alte, Behinderte u. Kranke –, wenn wir die Umwelt retten und das Land, wie diesen Planeten, für die nächste Generationen bewohnbar halten wollen, bleibt nur diese Perspektive. Sie soll im Folgenden umrissen werden.

Die Alternative zur Autogesellschaft


In einer Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, steht zunächst ein radikales Umsteuern auf Gemeinschaftstransporte und umweltschonende Verkehrsmittel an. Aber damit nicht genug. Grundsätzlich muss eine Abkehr von der Autogesellschaft mindestens auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen organisiert werden, nämlich auf der Ebene der Verkehrsmittel wie auf der Ebene der Struktur- und Raumordnungspolitik. Es geht nämlich nicht nur darum, umweltfreundliche Verkehrsmittel einzusetzen, sondern vor allem darum, Wege zu verkürzen, um motorisierten Verkehr zu vermeiden und Zeit und Lebensqualität zu gewinnen. Dies geht letztlich nur über den Eingriff in die Besitzverhältnisse und über den Verlust bestimmter Freiheiten, z. B. die Freiheit, Betriebe oder Geschäfte in Privatbeisitz – also nach dem Profitprinzip – zu betreiben und diese beispielsweise auf der grünen Wiese zu etablieren, riesige Einkaufzentren weit weg von den Wohnvierteln einzurichten usw. Wer in diese Freiheiten nicht eingreifen will, hat von vornherein das Ziel der Abkehr von der mörderischen Autogesellschaft aufgegeben.
So wie Martin Luther King von einer Gesellschaft der Brüderlichkeit (wir würden hinzufügen der Schwesterlichkeit) und ohne Rassenschranken träumte, so träumen auch wir, allerdings im klaren Bewusstsein, dass eine so grundlegende Umwälzung der herrschenden Verhältnisse nur von einer selbsttätigen ArbeiterInnenklasse umgesetzt werden kann. Die wesentlichen Bestandteile eines Übergangsprogramms, für das und auf dem sich die ArbeiterInnenklasse mobilisieren kann, sind in der Tradition der revolutionär-marxistischen Bewegung, speziell der IV. Internationale, klar herausgearbeitet. Aber gelingt es uns auch, unsre Zielvorstellungen plastisch werden zu lassen? Wir versuchen es hier mit einem Traum, der nach unsrer Auffassung kein Traum bleiben braucht.

Verkehrsträger beim Personentransport


Eine rational organisierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung muss diejenigen Verkehrsträger geplant zum Einsatz bringen, die die gesellschaftlichen (materiellen und immateriellen) Kosten auf ein Minimum begrenzt. Damit scheidet prinzipiell das Auto als Verkehrsträger aus, und nur Taxis (für Behinderte, Notfälle und dergleichen) behalten ihren Platz bzw. können in Form von Sammeltaxen sogar einen begrenzten Aufschwung erleben.
Dies hat zur Folge (bzw. setzt voraus), dass der ÖPNV für den Personentransport der alles entscheidendeVerkehrsträger wird. Wenn dies nicht auf Kosten der Mobilität gehen soll, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
Der Fahrplan ist so gestaltet, dass in den allermeisten Fällen die Straßenbahn oder der Bus nicht länger als 5 Minuten (seltener bis zu 10 Minuten) auf sich warten lässt. Die Linien verbinden nicht nur die Peripherie mit dem Zentrum, sondern auch über Querstrecken die verschiedenen peripheren Stadtteile und Siedlungen (ringförmig) miteinander. Grundsätzlich ist der Nahverkehr gebührenfrei und wird bezahlt über riesige Einsparungen, die sich aus der Abschaffung des Autos ergeben.
In den Städten über 50 000 Einwohnern werden die Straßenbahnen revitalisiert bzw. neu eingeführt. Autobauer fertigen fast nur noch Busse, Straßenbahnen, Sammeltaxen und Eisenbahnen.
Aufgrund der Tatsache, dass U-Bahnen unverhältnismäßig teuer sind „…beim Bau einer Straßenbahn kann man mit einem Zehntel der Investitionskosten für einen U-Bahnkilometer 70 – 80 Prozent des Leistungsstandards einer U-Bahn erreichen.“ (aus dem Vorwort des Winterfahrplans 1975/76 des Münchner Verkehrsverbunds, zitiert nach W. Wolf: Sackgasse Autogesellschaft…, a.a.O. S. 76 – auch im Unterhalt – werden sie schrittweise durch Straßenbahnen ersetzt. Allein der Betrieb der Rolltreppen und der unterirdischen Beleuchtung, der Sicherheitsanlagen usw. kostet mehr Energie als eine entsprechende Fahrt mit der Straßenbahn. Wenn also die Städte autofrei sind, gibt es genug Raum für Straßenbahnen, die die Menschen heute schon auf Strecken bis zu 3 km schneller als die U-Bahn voranbringt (Rolltreppen runter und rauf, längere Fußwege bis zu den Bahnsteigen, längere Strecken bis zur nächsten Haltestelle usw.)
Aber auch der Bedienungskomfort aller öffentlichen Verkehrsmittel wird ein ganz anderer. Grundsätzlich verschwinden hohe Trittstufen. Busse, Bahnen und Straßenbahnen fahren so häufig, dass genug Sitzplätze für alle da sind. Gepäck zu befördern wird auch kein Problem mehr, weil es dafür ausreichend Abstellplätze und Körbe gibt. Ganz selbstredend sind alle Haltestellen überdacht und windgeschützt.
Der Verkehrsträger ÖPNV kann aber nicht allein stehen. Er ist vernetzt mit allen anderen Verkehrsträgern: Zunächst mit der Bahn (Regional- und Fernverkehr) und mit der S-Bahn innerhalb der Millionenstädte und als Alternative zur U-Bahn. Diese Vernetzung betrifft nicht nur den Fahrplan. Auch die Vorrichtungen zur Gepäckbeförderung werden standardisiert und überall werden ausreichend Plätze für den Transport von Fahrrädern zur Verfügung gestellt.
Sodann wird die Verbindung öffentlicher Verkehrsmittel mit dem Fahrrad systematisiert. Fahrradwege werden ausgebaut und überall gibt es überdachte Ride&Bike-Plätze, also zum Umsteigen von einem Verkehrsmittel auf das andere. Ja unsere Fantasie geht so weit, dass nicht nur die Nutzung des ÖPNV kostenlos ist, sondern auch an allen Ride&Bike-Plätzen (nicht nur am Stadtrand, sondern an allen Knotenpunkten in der Stadt) ausreichend öffentlich zu nutzende (standardisierte) Fahrräder (mit entsprechenden Körben) zur Verfügung stehen. Die heute schon existierende Fahrraddichte etwa in Amsterdam ist nur ein winziger Vorgeschmack auf das, was ohne großen Aufwand möglich ist.
Durch all diese Maßnahmen steigt die tatsächliche Mobilität gegenüber der Autogesellschaft ganz gewaltig: Die schwachen Verkehrsteilnehmer sind nicht mehr ausgegrenzt und benachteiligt. Niemand mehr steht im Stau und allein durch den gewaltig vermehrten Gebrauch von Fahrrädern tut mensch viel für die Gesundheit (gegen das Herzinfarktrisiko usw.).
Schließlich wird auch das Laufen (Gehen) wieder attraktiver, weil die Luft besser wird und der Lärm drastisch abnimmt.
Städte werden bewohnbar, lebbar. Dadurch, dass in den Straßen viel Fläche frei wird für Fußgänger, Radwege und vor allem für mehr Grün, gewinnen die Städte endlich Lebensqualität. Denn es fallen nicht nur die Pkw weg. Auch die ganzen Parkplätze entfallen, denn Busse und Straßenbahnen werden nur an den Endstellen oder in Depots untergebracht.
Und die Fernreise, im Besonderen der Urlaubsverkehr? Gegenüber dem Alltagsverkehr macht der Urlaubsverkehr nur einen Bruchteil aus. Aber auch hier lassen sich im Prinzip alle Reisewünsche innerhalb Deutschlands oder in die Nachbarländer bequem, umwelt- und gesundheitsschonend mit öffentlichen Verkehrsmitteln befriedigen. Auch für das Gepäck (einschließlich Fahrrad, Zelt und Zubehör) ist der kombinierte Bahn- und Busverkehr am leistungsfähigsten. Allerdings wird dann auch hier mehr Gepäckstauraum zur Verfügung gestellt sowie die Busanbindung besser vernetzt (zeitlich enger gestaffelt und die Regionen besser abdeckend). Plötzlich entstehen neue Badestrände, weil keine Parkplätze mehr gebraucht werden. In den Feriengebieten fahren ständig Shuttle-Busse von den Unterkünften zu den Stränden oder sonstigen Zielen am Urlaubsort.
Mensch stelle sich allein den Zugewinn an Erholung vor, wenn die ungeheuer anstrengenden Autofahrten (selbst dann, wenn es keine Staus gibt und sie werden ja heute von Jahr zu Jahr länger) wegfallen.
Nur eine wesentliche Einschränkung – vielleicht die einzige überhaupt – wird es geben: Flugreisen werden dann sowohl deutlich verteuert (weil das Kerosin endlich besteuert und die Flugreise aus Umweltschutzgründen mit einer besonderen Abgabe belastet wird), als auch administrativ eingeschränkt. Viele Flugreisen zu Urlaubsgebieten etwa in der Karibik werden schon aus Kostengründen wegfallen. Wegfallen werden aber auch z. B. alle innerdeutschen Flüge, ganz gleich welcher Art (ob privat oder dienstlich), es sei denn, es handelt sich um Notlagen, Katastrophendienste und dergleichen: Aufgrund der Umwelt- und Lärmbelastung werden alle Flüge mit einer Reichweite unter 1000 km abgeschafft. Bahnfahrten dauern in diesem Bereich kaum länger und sind unvergleichlich umweltschonender.
Und noch etwas: Außer in Fällen des Notdienstes bei Katastrophen gilt künftig ein absolutes Nachtflugverbot zwischen 21.00 und 6.00 Uhr. Mit der Gesamtheit dieser Maßnahmen (nicht zuletzt aufgrund einer tatsächlich einsetzenden Strukturpolitik) wird der Flugverkehr um mindestens 90% sinken, statt wie in der Autogesellschaft prognostiziert, jährlich um mindestens 4% zu steigen. Der Gewinn an Lebensqualität allein im Bereich der An- und vor allem der Abflugschneisen wird für ca. 1 Million Menschen gewaltig zunehmen. Endlich mal wieder richtig schlafen können!



Güterverkehr


Ähnlich weitreichend fällt die Umstellung im Güterverkehr aus. Hier gelten die gleichen Prinzipien: Alles, was auf die Schiene gepackt werden kann, kommt von der Straße weg. Das hat mehrere Folgen: Das Schienennetz wird deutlich ausgebaut, vor allem in der Fläche werden wieder alle Landstriche bedient, Haltestellen reaktiviert, Bahnhöfe revitalisiert und modernisiert. Der Lkw-Verkehr wird nur noch zur Feinverteilung genutzt. Lastverkehr über 200 km auf der Straße wird grundsätzlich verboten.
Um dies praktikabel umzusetzen werden die Transportbehälter (Container in unterschiedlichen Größen) standardisiert und an allen Bahnhöfen und Güterumschlagplätzen stehen ausreichend Gabelstapler und Hebebühnen zur Verfügung.
Mit der Gesamtheit dieser Maßnahmen können so manche Autobahnen (bzw. Teile davon, also beispielsweise 2 von 6 Spuren) renaturiert werden. Der gesamte transalpine Lkw-Verkehr fällt flach und die Alpenlandschaft erhält eine neue Chance.
Die Binnenschifffahrt hat in einer rational organisierten Wirtschaftsordnung keinen nennenswerten Platz. Nur für ganz wenige Fälle mag sie noch eine Berechtigung behalten angesichts einer Wegekostendeckung von 6% (gegenüber 66% bei der Bahn). In einer Nicht-Autogesellschaft wird sich die Wegekostendeckung bei der Bahn deutlich erhöhen, aber für die Binnenschifffahrt wird dies nicht möglich sein.

Arbeitsplätze


Nicht nur die Binnenschiffer werden ihren bisherigen Arbeitsplatz verlieren. Viele Menschen im Flugverkehr, in der Autoproduktion oder im Straßenbau werden die Stelle wechseln, aber sie werden samt und sonders nicht erwerbslos werden und zwar aus drei Gründen:
Erstens werden sie ökologisch vertretbare Verkehrsmittel bauen, bzw. bedienen. Zweitens wird vor allem der Ausbau des Schienenverkehrs (Bahn und Straßenbahn) einiges an Infrastrukturmaßnahmen erfordern. (Mit zu bedenken sind hier auch die Infrastrukturmaßnahmen außerhalb des Verkehrssektors im engeren Sinn; s. hierzu den folgenden Abschnitt). Und drittens wird für die gesamte Gesellschaft die Arbeitszeit ohne Lohnverlust so verkürzt, dass niemand erwerbslos sein braucht, gemäß der Leitlinie: Verteilung der Arbeit auf alle Hände!


Struktur- und Raumordnungspolitik


Am bedeutendsten sind wahrscheinlich die zu tätigenden Investitionen bzw. Umleitungen von Mitteln und die Umorganisierung von Produktion und Vertrieb in der allgemeinen Struktur- und Raumordnungspolitik. Diese findet unter kapitalistischen Verhältnissen schlicht und einfach nicht statt. Das kann sie auch nicht, denn dies widerspräche dem freien Unternehmertum. Schließlich gilt im Kapitalismus: Investiert wird dort (und soll dort werden!), wo der größte privat anzueignende Profit des Kapitalbesitzers winkt, nicht dort (sowohl räumlich wie sachlich), wo die Bedürfnisse der Menschen am größten sind. Somit herrscht – auf die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse bezogen – im Kapitalismus Anarchie.
Dies hat so verheerende Folgen, dass sich in den vergangenen 50 Jahren (also im vollen Aufblühen der Autogesellschaft) die Wegstrecken verdreifacht bis vervierfacht haben. Und schon vor dieser Zeit herrschte der Kapitalismus und gab es keine Raumordnungspolitik. Die Auswirkungen sind im Prinzip gemeinhin bekannt. Geschäftszentren sind von Wohnsiedlungen getrennt, Ärzte, Behörden, Postfilialen und vor allem die Arbeitsstellen sind in den seltensten Fällen fußläufig zu erreichen. Hier herrscht die totale Anarchie und dem drohenden Verkehrsinfarkt begegnen die bürgerlichen Politiker mit so lächerlichen Vorschlägen wie Verkehrsleitsystemen.
In einer rational organisierten Wirtschaftsordnung werden alle Betriebe, Geschäfte, Behörden und Ämter räumlich so angeordnet, dass möglichst wenig Verkehr entsteht. Dies fängt damit an, dass Produktionsstätten nicht mehr für das ganze Land (bzw. den Kontinent) produzieren. Demzufolge muss auch die Zulieferindustrie dezentralisiert werden. Würden heute alle gesellschaftlich entstehenden Kosten des Lkw-Verkehrs tatsächlich auf den Transportpreis aufgeschlagen, würde sogar schon in der Autogesellschaft ein Teil des Güterverkehrs verschwinden. Milch im Allgäu zu erzeugen, sie nach Italien zu befördern, dort zu Joghurt verarbeiten zu lassen und anschließend wieder zurück zu befördern, ist typisch kapitalistischer Wahnsinn, der nur deswegen funktioniert, weil die Gemeinschaft einen großen Teil der Kosten trägt und die Umweltschäden zu verkraften hat, der Profit aber privat eingesackt wird.
Wir stellen uns also vor: Die Produktionsstätten und Dienstleistungsbetriebe sind so dezentralisiert und gemäß der Bevölkerungsdichte so verteilt, dass niemand länger als eine halbe Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit unterwegs ist.
Ferner sind die Geschäfte so verteilt, dass im gleichen Umkreis wirklich alles zu haben ist, was mensch die meiste Zeit im Jahr braucht: Lebensmittel, Kleidung, Arzneien, den gängigen Baubedarf, Sport- und Freizeitartikel usw. Auf die gleiche Weise ist die Ärzteversorgung geregelt, vorzugsweise in ambulanten Polikliniken. Behörden und Ämter unterhalten Filialen ebenfalls in räumlicher Nähe zu den großen Wohnsiedlungen. Nicht anders ist es mit den Schulen, von denen es übrigens nur eine Grundform gibt: die flächendeckende integrierte Gesamtschule. Selbstredend sind auch die Freizeiteinrichtungen gleichmäßig verteilt.

Wie durchsetzen?


Es ist unschwer vorzustellen, dass eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel, die gezielte Organisierung von Gemeinschaftstransporten, die Reduzierung von Verkehr und die Umsetzung einer rationalen Raumordnung sich auf allen Ebenen mit dem kapitalistischen Prinzip stößt, nicht einfach nur, weil dann weniger Sprit verkauft wird oder weil weniger (bis gar keine) Autos mehr abgesetzt werden, sondern auch weil vor allem die Industrieansiedlung (genauer ihre Dezentralisierung) kapitalistischen Profitkriterien widerspricht.
An einer Enteignung der Industrie, des gesamten Verkehrssektors, der Ölindustrie usw. kommt die Gesellschaft nicht vorbei, wenn sie tatsächlich dem Verkehrschaos begegnen und eine menschenfreundliche Wirtschaftsordnung aufbauen will. Wie durchsetzen?
Die Erfahrung der Geschichte zeigt: Mit Appellen oder mit Überredungskünsten ist in diesen existenziellen Angelegenheiten weder bei den Kapitaleignern noch bei den Politikern etwas zu erreichen. Es kommt einzig und allein auf die Selbsttätigkeit einer bewusst werdenden ArbeiterInnenklasse an. In der Verteidigung ihrer materiellen Interessen wie Kaufkraft, Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitszeit liegt in aller Regel das größte Potenzial für die Entwicklung von Kämpfen wie auch für die Bewusstwerdung über die Widersinnigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Je mehr jedoch sich das Verkehrschaos entwickelt, je mehr die Menschen direkt spürbar auch unter den Auswirkungen der Autogesellschaft leiden, umso mehr kann – ja wird – auch diese Seite der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzliche Fragen aufwerfen, bzw. es ermöglichen, grundsätzliche Alternativen zu erörtern und dafür zu streiten.
Teilziele zu verfolgen ist, immer sinnvoll – etwa für den Erhalt oder den Ausbau des bestehenden ÖPNV, gegen Privatisierungen oder Fahrpreiserhöhungen – solange damit Kampferfahrungen gesammelt werden und die Verbindung zu weitergehenden Perspektiven hergestellt werden kann. An dieser Stelle ist es in der allgemeinen Form nicht sinnig ein detailliertes Aktionsprogramm vorzuschlagen. Dieses hängt vielmehr von den konkreten Ausgangsbedingungen vor Ort ab und muss sich nach den konkreten Mobilisierungsmöglichkeiten richten.
Dennoch seien hier zentrale Achsen benannt, die nach unsrer Auffassung (an dieser Stelle muss es besser heißen: nach Meinung des Autors) eine bestimmte Rolle spielen werden, bzw. in jedem Fall spielen sollten:

Wir wissen natürlich nicht, wie durchgreifend eine sozialistische Gesellschaftsordnung das Auto abschaffen wird. Nicht vollkommen auszuschließen ist eine begrenzte Anzahl von Pkws, die von größeren Wohngruppen oder Wohnblöcken im Car-Sharing-System betrieben werden und auf bestimmten Strecken fahren dürfen. In dieser Form wären immer noch 95% der heute existierenden Pkw überflüssig.
Über die konkrete Form des Umgangs mit einem möglichen Restfaktor Auto lässt sich selbstredend heute nicht viel sagen, aber eines ist gewiss: Kommt es nicht zur Abschaffung der Autogesellschaft, wird es keinen Sozialismus geben.
Und: Wird es keinen Sozialismus geben, wird auch die Autogesellschaft nicht auszuhebeln sein.

Jakob Schäfer
(April 2005)

Vortrag von Friedrich Voßkühler über das Recht auf Stadt


Vortrag von Friedrich Voßkühler bei der linksjugend.solid über den Nulltarif