Was ist die Verkehrswende ?
Verkehrs- und Energiewende
Der Begriff der Verkehrswende ist in Anlehnung an die Energiewende geschaffen worden, um darauf hinzuweisen, dass – ebenso wie eine andere Form der Erzeugung von Energie notwendig ist – auch neue Formen der Mobilität entstehen müssen. Traditionellerweise beruhen Energieerzeugung und Mobilität auf der Verbrennung fossiler Energieträger (Öl, Kohle, Gas). Um in Zukunft die globale Atmosphäre nicht noch stärker mit THG (Treibhausgase, darunter vor allem Kohlendioxid) zu belasten, die die Atmosphäre aufheizen, muss die Nutzung fossiler Energieträger als Grundlage für Energieerzeugung und Mobilität schrumpfen.
Durch relativ einfache technische Veränderungen und Innovationen ist es in den Jahren 1990-2010 gelungen die THG-Emissionen verschiedener Sektoren der Wirtschaft und des Alltagslebens abzusenken. Nicht so beim Verkehr. Zwar sind Autos energieeffizienter geworden, im Gegenzug aber schwerer und ihre Anzahl ist stark gestiegen. Zugleich haben im Zeitraum 1990-2019 Flugverkehr und Schiffsverkehr zugelegt, sodass die THG-Emissionen im Verkehrssektor trotz steigender Energieeffizienz zugenommen haben. Diese Entwicklung wird deshalb so bedrohlich, weil das Zeitfenster für Veränderungen, die den Klimawandel drohen zur Klimakatastrophe auswachsen zu lassen, rasch schrumpft.
THG-Emissionen nach Emittenten in Deutschland 1990-2016Die Grafik teilt uns mit, dass die Steigerungen der technischen Effizienz, die in den meisten Sektoren schnelle Emissionssenkungen ermöglichten, augenscheinlich nicht ausreichen werden, um die THG-Emissionen bis 2050 auf das erforderliche Niveau nahe der Klimaneutralität zu senken.
Die drei Themen der Verkehrswende
In Deutschland und in Europa werden jedes Jahr mehr fossile Brennstoffe verbraucht, um die bestehende Mobilität zu wahren. Das Interesse ist groß, dass diese Mobilität eine Automobilität bleiben wird, weil einer der beschäftigungsgrößten und gewinnträchtigsten Sektoren der Industrie die Automobilindustrie ist. Zudem sind große Teile der Infrastruktur (für Einkaufen, Wohnen und Arbeiten, Freizeit) so konstruiert worden, dass sie völlig vom Auto abhängig sind. Es gibt einen Zwang zum Autobesitz, weil anders die Arbeit oder Freunde und Verwandte nicht erreichbar sind. Wer nicht in einer Stadt lebt kann in der Regel nicht einmal mehr ohne Auto einkaufen. Der Öffentliche Verkehr wurde durch den Zwang zur Automobilisierung so weit zerstört, dass er nur noch in den Städten als Alternative zum Auto gelten kann. Ihn wieder aufzubauen und zur Ersten Form der Mobilität zu machen ist oberstes Gebot jeder Politik gegen die Klimakatastrophe.
Wenn wir von Verkehrswende sprechen geht es aber nicht nur um Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen, sondern ebenso um die Wiedergewinnung eines lebenswerten Lebens, das besonders in den Städten mit ihrem Lärm, ihren Abgasen und einer autogerechten Flächenaspaltierung in den vergangenen 60 Jahren rapide an Qualität verloren hat. Die Städte sind heute bis ins Detail autogerecht und menschenfeindlich umgebaut worden. Sie für und durch die Bewohner wiederzugewinnen, also das Recht auf Stadt geltend zu machen, ist auch Bestandteil der Verkehrswende. Auch hier gilt es das, was verloren gegangen ist, wieder aufzubauen: Die Lebensqualität von Stadt, ein gut ausgestatteter Öffentlicher Nahverkehr, Wohnungsmieten, die sich jede(r) leisten kann, keine Dauerbelastung durch Lärm und Abgase, Räume zur Erholung und Räume, in denen Kinder wieder spielen können. Wir wollen keine Industrie und keinen Verkehr, die den Klimawandel anheizen, die die Natur wie die Menschen zerstört, sondern dazu in die Lage versetzt werden die ökologischen Grenzen ihrer Eingriffe zu beachten.
Wenn wir von Verkehrswende sprechen müssen wir auch etwas über das kapitalistische System sagen, dessen Folgen diese Verkehrswende so dringlich machen, müssen über ein System sprechen, das sich selbst als eines definiert, das unaufhörlich wachsen muss, das alle Lebensbereiche zum Geschäft, zur Ware, für den Profit gemacht hat: Wohnen, Mobilität, Freizeit, Arbeit. Weshalb belassen wir die Mittel, mit denen die Dinge des Alltags hergestellt werden, die Mittel, mit denen wir kommunizieren, die Räume, in denen wir leben und die Zeit, die wir für gesellschaftlich notwendige Arbeit aufwenden in der Verfügungsgewalt weniger, die sich anmaßen unsere Zukunft zu bestimmen??? Solange wir die Verfügungsgewalt weniger über die Produktionsmittel nicht angreifen, wird es auch keine demokratische Entscheidung darüber geben, ob die Automobilität den Klimawandel rechtfertigen und die Stadt zu einem Parkplatz degradieren darf.
Die Autoindustrie ist einer der mächtigsten politischen und wirtschaftlichen Akteure in diesem Land und ihr System der Mobilität ist so maßgeblich, dass es auch einen grünen hessischen Verkehrsminister mitten in der Klimakrise dazu bringt als Schirmherr einer Autobahn in Osthessen aufzutreten, für deren Bau im Dannenröder Forst mehr als 100 ha Wald mit bis zu 250 Jahre alten Bäumen fallen sollen.
Der Kapitalismus, in dem wir bisher zu leben gezwungen sind, versorgt zwar Wenige recht üppig mit Profit und Grundrente, zerstört aber langfristig die Lebensgrundlagen aller und zuerst die der wirtschaftlich schwächsten Teile der Bevölkerung – derer, die mit wenig Einkommen zurecht kommen müssen, keinen politischen Einfluss haben, aber alles verändern können, wenn sie solidarisch sind und wenn sie sich wehren. Sie sind die ersten, die unter dem Klimawandel leiden und in der Klimakatastrophe unter die Räder kommen. Nur wenn sie sich wehren wird es eine bewohnbare Stadt und einen Stopp des Klimawandels geben.
Was treibt das Wachstum des Verkehrs an?
Der wachsende Autoverkehr ist kein Naturgesetz, sondern eng verbunden mit anderen Entwicklungen, die das Klima aufheizen und die Städte verwüsten:- Die Wirksamkeit einer Verkehrswende, um den Klimawandel in Grenzen zu halten, wird global, d.h. weder in Deutschland noch in Europa entschieden. Allerdings hat das, was sowohl in Deutschland als auch in Europa passieren wird, immense Auswirkungen auf das, was global passiert. Und global spielt sich gerade etwas ab, was mit dem Titel Vollgas in die Katastrophe bezeichnet werden kann. Die globalen CO2-Emissionen sind von 1990 bis 2019 von 22,7 auf 37 Mrd. t angestiegen. Um das 1,5°C-Ziel zu erreichen müssen die Emissionen zwischen 2045 und 2060 auf Klimaneutralität abgesenkt werden! Das bedeutet, dass alle weltweiten Kohlenstoffemissionen durch Kohlenstoffbindung (Grünflächen, Meere etc.) ausgeglichen werden. Das wird wohl nicht einmal im reichen Deutschland passieren. Es sei denn es wird umgesteuert!
- Täglich wächst die Flächenversiegelung in Deutschland nur für Verkehrszwecke um 10 ha. Die weitere Zersiedlung durch Wohnbebauung erzeugt zusätzlichen Verkehr. Städte sind heute große Parkplätze für Maschinen, die weniger als 2% ihrer Lebenszeit genutzt werden.
- Der Gütertransport auf der Straße hat in Deutschland z.Zt. einen Anteil von mehr als 70% und wächst jährlich. Sein hoher Anteil am Gesamtgütertransport liegt daran, dass seine Kosten vergesellschaftet werden. Diese vergesellschafteten Kosten werden auch externe Kosten genannt, weil sie nicht im Preis, der für eine Tonne Gütertransport zu zahlen ist, enthalten sind, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Diese externen Kosten umfassen Emissionsschäden, Lärmschäden, Unfallschäden, Landschaftsverbrauch durch Straßen und Parkplätze und vieles mehr, was nie im Preis einer Transporteinheit erscheint. Dies sind externe Kosten, die so hoch sein können, dass der nominelle Preis für den Transportkilometer willkürlich erscheint. Aber nicht nur der Transportsektor fristet sein parasitäres Dasein: Jährlich wird jeder PKW in Deutschland mit mehr als 1000 € subventioniert. Hier kommen genau dieselben externen Kosten zur Geltung, die auch oben den Transportsektor so billig machen.
- Der Flugverkehr ist heute zu einer relevanten Größe im Klimawandel geworden, weil sein laufender Treibstoffverbrauch mehr als 5% der gesamten THG-Emissionen ausmacht und pro Jahr eine Steigerung von ca. 1,3% aufweist, so dass bei ungebrochenem Wachstum die THG-Emissionen des Luftverkehrs 2050 ca. 22% betragen werden. Der Flugverkehr ist von der Kerosinsteuer befreit, internationale Flüge kosten keine Mehrwertsteuer und seine gewaltigen Umweltschäden (s.Frankfurter Flughafen) trägt die Gesellschaft.
Die Verkehrswende und ihre Surrogate. Oder: Rezepte, wie alles beim alten bleiben kann.
Der aktuelle Trend, die Verkehrswende mit einer technischen Innovationswelle zu verwechseln, pflegt die Illusionen, die im allgemeinen mit E-Mobilität und Brennstoffzellen verbunden sind. Diese sollen die Emissionen des Verkehrs reduzieren ohne die Mobilitätsformen und die Infrastruktur des Verkehrs selbst zu verändern. Das Ganze erinnert stark an den lang gehegten Selbstbetrug vom Agrosprit, der angeblich der Schlüssel zum grünen Autofahren werden könne.
Alle genaueren Untersuchungen der letzten Jahre weisen darauf hin, dass selbst bei Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien infolge der hohen Emissionen beim Fahrzeugbau die Emissionsabsenkung der E-Mobilität im Vergleich zu einem konventionellen PKW kaum mehr als 25% betragen wird. Zwar sind die Emissionen der die E-Mobilität im laufenden Betrieb geringer, dafür sind sie beim Fahrzeugbau umso höher. Ob mit E- oder mit Verbrennungsmotor, der Hauptanteil des Feinstaubs, den wir einatmen, stammt von Autoreifen und Straßenabrieb.
Die Brennstoffzelle ist hingegen ein Musterbeispiel der Ineffizienz: Bei der Gewinnung von Wasserstoff durch Elektrolyse bleiben in der Brennstoffzelle zum Antrieb gerade mal 20% der aufgewandten Energie übrig.
Eine ähnliche Rolle wie die Spekulation, dass eine Kette technischer Innovationen den Klimawandel aufhalten könnte, spielt die Ansicht von Ökonomen, dass der Klimawandel gleichbedeutend sei mit Marktversagen. Ihre Lösung heißt: Geben wir der Atmosphäre einen Preis! Denn was nicht umsonst ist wird hoch geschätzt. Ein angemessener Preis für die Luftverschmutzung mit CO2 würde dazu führen, dass weniger Emissionen entstehen – so der Glaube. Die Bundesregierung versucht es seit 2005. Ob und wie hoch der Erfolg der Emissionsabsenkung in verschiedenen Wirtschaftssektoren auf die Bepreisung zurückgeht, das mag dahingestellt bleiben. In der Praxis ist die Bepreisung im allgemeinen zu gering, um eine wirkliche Lenkungswirkung zu entfalten. Denn: Je höher die Preise, desto geringer die Konkurrenzfähigkeit. Zudem ist sie höchst unsozial. Den Schmerz der steigenden Energie- und Warenpreise spüren nur die, die sowieso wenig zum Leben haben.
Eine CO2-Steuer auf die Emission von Kohlendioxid zu erheben scheiterte bislang daran, dass Länder ohne CO2-Steuer dann automatisch bevorteilt werden. Sie können ihre Produkte auf dem Weltmarkt billiger anbieten. Fällt die CO2-Steuer höher aus flieht das betroffene Kapital ins Ausland, wo es keine CO2-Steuer gibt oder wo der Wert der Arbeitskraft sehr gering ist.
Und was benötigen wir für eine wirkliche Verkehrswende?
Zuerst einmal die Erkenntnis, dass die drohende Klimakatastrophe mehr ist als eine technische Herausforderung. Vieles in Wirtschaft und Alltagsleben kann energiesparender organisiert werden. Zweifellos wird E-Mobilität die Luft verbessern und den Lärmpegel senken. Aber die Flächenversiegelung wird weiter voranschreiten, der Verkehr zunehmen und die Städte immer trostloser werden. Und: Die globalen THG-Emissionen werden auf hohem Stand verharren solange in den kapitalistischen Zentren Europas und den USA die Automobilität als Gradmesser der Modernität und sozialen Hierarchie auch für den Rest der Welt Geltung beansprucht! Kurzum: Wenn wir das nicht schnell und grundlegend verändern, wird das globale System weiter wachsen – insbesondere im Verkehrssektor. Das kapitalistische Weltsystem ist mit seinem Wachstumszwang und der Konkurrenz nicht in der Lage der drohenden Klimakatastrophe zu begegnen.
Wie kann in der kleinen Zeitspanne, die noch bleibt, eine Verkehrswende gelingen? Durch einen schnellen Ausbau des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, durch wachsenden Druck seitens der Stadtbewohner, die Städte vom Autoverkehr zu befreien und durch den Rückbau der Beton- und Asphaltwüsten zu bewohnbaren Stadtteilen zu machen. In einigen wenigen Städten sind in dieser Richtung bereits zarte, selten auch kräftigere Anfänge gemacht worden. In den manchen Städten mag der Öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut sein. Die Autos bleiben dennoch in den Städten, weil Millionen Menschen nur mit den Auto zur Arbeit aus der Stadt kommen oder in die Stadt gelangen und sich für Geringverdiener nie die Frage stellen wird, ob sie den ÖPNV nutzen und ein Auto unterhalten. Der Ausbau des ÖPNV wird nur der Verkehrswende dienen, wenn er nicht auf die Städte beschränkt ist, sondern flächendeckend in engem Takt funktioniert, wenn neue Verbindungen geschaffen werden und wenn er zum Nulltarif angeboten wird.
Das ist die einzige Garantie dafür, dass eine große Zahl von Menschen sehr bald ihre Mobilität verändert. Sie werden ihre Mobilität aber nur ändern, wenn das beseitigt wird, was sie zum Autofahren zwingt. Es gibt keinen Königsweg zur Verkehrswende, aber es gibt notwendige Voraussetzungen für sie: Ohne gesellschaftliche Gleichheit wird es genauso wenig eine Verkehrswende geben wie es sie ohne eine Vergesellschaftung der Autokonzerne und eine Konversion geben wird, die es ihnen erlaubt nützliche statt schädliche Dinge herzustellen.
Eine Verkehrswende wird nur erfolgreich sein, wenn der ÖPNV mit genügend zusätzlichen Transportmitteln ausgestattet ist, um es seinen Nutzern auch in Spitzenzeiten zu ermöglichen die erforderlichen Wege stressfreier als mit dem Automobil zurückzulegen. Diese Transportmittel wiederum müssen gefahren, gewartet, gepflegt und repariert werden. Es werden Menschen gebraucht, die dies tun und die mit dieser Tätigkeit sich ein finanzielles Auskommen schaffen, das zum Leben reicht. Sie wollen, dass ihre Tätigkeit wertgeschätzt wird und mit ihrer Arbeitskraft kein Schindluder getrieben wird. Zur Zeit sind Angestellte im ÖPNV – von der Reinigungskraft bis zum Fahrer – mies bezahlt, arbeiten im Schichtdienst und sind häufig wiederkehrendem Stress ausgesetzt. Die Fahrerberufe sind zur Zeit dermaßen unbeliebt, dass jeder Ausbau des ÖPNV schon am personellen Nadelöhr scheitern wird. Genau diese Misere ist symptomatisch für das herrschende politische und ökonomische System. Die Mehrheit seiner Regierenden, von der Bürokratie über den Minister bis zum Bürgermeister, pflegen die Praxis, dass die Verkehrswende sich schon von selbst erledigen wird. Durch Technik? Durch Einpreisung der Umweltschäden? Nichts wird sich von selbst erledigen, nichts wird sich bewegen, wenn wir nicht aufstehen, streiken, demonstrieren, Bäume und Kohlebagger besetzen, um einen weiteren Bau von Autobahnen und Flugplätzen zu verhindern.