Wer wir sind

Ökosozialistische Initiative Mainz/Wiesbaden - Thesen zum Selbstverständnis

  1. Unser Ausgangspunkt für eine emanzipatorische, gesellschaftsverändernde politische Aktivität ist die Feststellung, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Diese beruht auf dem Interessengegensatz von Lohnarbeit und Kapital. Je intensiver die Ware Arbeitskraft ausgebeutet wird, umso mehr Mittel stehen dem Kapital für seinen Wachstumsdrang zur Verfügung. Die Konkurrenz der Kapitale zwingt sie zu immer mehr Akkumulation (und zur Ersetzung von Arbeitskraft durch profitablere Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation und Maschinen). Daraus ergeben sich – neben vielen anderen Auswirkungen – zurzeit drei ganz zentrale Folgen:
    1. Die Reichen (vor allem die Kapitaleigner) werden immer reicher.
    2. Die Erwerbslosigkeit und die wachsende Prekarität einer bedeutenden Zahl von Menschen (real sind heute in Deutschland annähernd 4 Mio. erwerbslos, von der großenteils erzwungenen Teilzeitarbeit noch ganz abgesehen) bestimmen entscheidend das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Die Angst ist (nicht nur durch Hartz IV) ein wirksames Züchtigungsmittel für die lohnabhängige Bevölkerung.
    3. Dieses System schickt sich kraft seines immanenten Wachstumszwangs an, die Voraussetzungen seiner eigenen Reproduktion zu untergraben: Die Ware Arbeitskraft und die natürliche Umwelt.
  2. Der Staat ist Ausdruck des Kräfteverhältnisses der gesellschaftlichen Klassen und sorgt mit seinen gesetzgeberischen wie auch repressiven Maßnahmen dafür, dass die Kapitalverwertung mit all ihren Bestandteilen möglichst reibungslos abläuft. Nichts zeigt plastischer das Kräfteverhältnis der Klassen an als die in den letzten Jahrzehnten vorgenommene Schleifung des Sozialstaates und die wachsende Prekarität der Lohnarbeit in allen Staaten Europas und Nordamerikas. Beides wurde durch gesetzgeberische Maßnahmen in Politik gegossen. Der bürgerliche Staat handelt grundsätzlich im Interesse des Kapitals und kann nur unter starkem Druck von unten zu einigen Zugeständnissen an die Bevölkerung oder etwa zum Zurücknehmen repressiver Maßnahmen gezwungen werden. Das, was für jeden beliebigen bürgerlichen Staatsapparat gilt, trifft auch auf die Parlamente zu: Sie agieren gemäß den Zwängen der Kapitalakkumulation und des Klassenkampfs (Standortkonkurrenz, Diktat der Zahlungsbilanz, Ausbau der Sicherheitsapparate und Konservierung gesellschaftlicher Ungleichheit). Wir begrüßen es, wenn eine Partei wie die LINKE die sich auch in Parlamenten ergebenden Möglichkeiten nutzt, um Missstände offenzulegen oder kleine Verbesserungen zu erreichen. Aber das Parlament als solches wird – wie auch die Regierung – nur unter dem Druck der Straße (am wirkungsvollsten unter dem Druck von politischen Streiks) zu Zugeständnissen bereit sein. Aber: Alles, was mühevoll erkämpft wurde, kann auch wieder zurückgenommen werden.
  3. Die bundesdeutsche Linke befindet sich seit langer Zeit in der Defensive. Zweifellos haben außerparlamentarische Bewegungen an Schwung gewonnen (Umweltbewegungen, Occupy, Arbeitskämpfe), sind aber weit davon entfernt notwendige Veränderungen nicht nur zu fordern, sondern auch durchsetzen zu können (von den HARTZ-Pressionen über den Wirtschaftskrieg gegen Griechenland bis hin zum Kohleausstieg). Die Gewerkschaften verhalten sich weitgehend politisch angepasst; zu gesellschaftlichen Mobilisierungen gegen die Politik der Herrschenden sind sie heute kaum in der Lage und wohl auch großenteils politisch nicht bereit. Umso dringlicher ergibt sich die Notwendigkeit, dass sich alle Kräfte, die an einer Abwehr der Angriffe der Herrschenden interessiert sind, zusammentun, ihre Aktivitäten koordinieren und soweit es geht bündeln, um eine gewisse Wirksamkeit zu erreichen. Zum Glück ist es schließlich nicht so, dass kein Druck von unten aufgebaut werden könnte. Lokale wie auch große bundesweite Mobilisierungen haben immer wieder zu gewissen Erfolgen geführt, sei es in der Anti- AKW-Bewegung, sei es beim Verhindern des Kohlekraftwerks Mainz oder beim Aufschub eines Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP). Diese Erfolge machen immer wieder Mut ‒ auch wenn wir wissen, dass kein Erfolg von Dauer ist, solange die Herrschenden nicht entmachtet und keine alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durchgesetzt ist.
  4. Aktuell ist vor allem die Ökologische Situation der Welt zu einem Brennpunkt der Probleme geworden und trägt erheblich dazu bei, die politische Polarisierung voranzutreiben. Der Klimawandel betrifft zuerst und nicht selten verheerend die Schwächsten. Seine Auswirkungen werden täglich spürbarer für die, die zu seiner Entstehung am wenigsten oder nichts beigetragen haben. Zugleich wird der Ausbau Erneuerbarer Energien durch die Akkumulationsmaschine des Kapitals untergraben, die immer mehr Energie für ihr Wachstum verbraucht und die Stoffe, die unverzichtbar für den Ausbau Erneuerbarer Energien sind, einem beschleunigten Raubbau ausgesetzt. Offensichtlich sind weder die Energiewende, noch die Stoffwende, noch ein sensiblerer Umgang mit Natur in einem kapitalistischen System in Reichweite realistischer Erwartungen. Die Ansätze, die gegen diese Politik aktiv sind, etwa die Bewegung „Ende Gelände“, sind ermutigend. Wir können es aber nicht bei ein oder zwei Bauplatzbesetzungen im Jahr belassen. Es muss letztlich das ganze Jahr hindurch – und möglichst in jeder Stadt ‒ so viel Unruhe entstehen, dass wenigstens erste Schritte zur Katastrophenabwehr erkämpft werden können (z. B. Ausbau und kostenlose Nutzung des ÖPNV).
  5. Was wollen wir? Eine Lösung der ökologischen Probleme – im Besonderen die Gefahren, die sich aus dem schon anlaufenden Klimawandel ergeben – kann letztlich nicht unter kapitalistischen Bedingungen erreicht werden. Dazu muss die Bourgeoisie entmachtet und müssen die Produktionsmittel vergesellschaftet werden. Nur in einer demokratisch geplanten Wirtschaft kann so umgesteuert werden, dass die drohende Katastrophe abgewendet wird. In manchen Regionen der Erde ist sie schon angekommen. Die große Mehrheit der Bewegungen, die sich für eine andere Umweltpolitik engagieren, erhofft sich Lösungen ohne einen tiefen Bruch mit dem System. Die Degrowth-Bewegung setzt stark auf Konsumkritik und Veränderung individueller Verhaltensweisen, andere wiederum glauben an schrittweise Veränderungen durch parlamentarische Mehrheiten. Ohne diesen Strategien jegliche Wirkung abzusprechen ist ihnen doch gemein, dass sie die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und den zentralen Stellenwert der Kapitalverwertung unterschätzen und die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeiten dieses Systems überschätzen. Wir wissen aber auch, dass das Objekt ihrer Konsumkritik zurecht ein imperialer Lebensstil ist, der in großen Teilen Europas und Nordamerikas nur infolge gnadenloser Ausbeutung der Arbeitskraft von Milliarden Menschen und durch schonungslosen Raubbau an den Ressourcen und der Umwelt im globalen Süden praktizierbar ist. Und dieser Lebensstil wird nicht von einer kleinen Minorität der Bourgeoisie praktiziert, sondern er wird geteilt von der Mehrheit der Bevölkerung. Das macht das System, dessen Bestandteil dieser imperiale Lebensstil ist, so politisch stabil. Auf der Basis dieses Konsenses hierarchisch zugeteilter Privilegien können Kriege geführt werden, gedeihen Rassismus, Nationalismus und Wohlstandschauvinismus. Es ist unsere Aufgabe dazu beizutragen diesen imperialen Konsens mitsamt seinen tragenden Pfeilern ‒ Klassenfrieden und die Ungleichwertigkeit der Menschen ‒ endlich aufzubrechen! Für jede grundlegende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Letztlich muss die Mehrheit der Menschen von ihrer Sinnhaftigkeit und Machbarkeit überzeugt sein und sie muss sicher sein, dass der notwendige Umbau nicht auf ihre Kosten geht. Wir wollen deshalb Aufklärungsarbeit betreiben, dort, wo es Widerstand gibt diesen unterstützen und alles fördern, was uns dem Aufbau einer stärkeren gesellschaftlichen Bewegung gegen die kapitalistischen Verheerungen näherbringt. Wir laden alle gesellschaftskritischen, linken Kräfte ein, dieses Bündnis so breit wie möglich zu machen, immer im Bewusstsein, dass die zu führenden Kämpfe innerhalb dieses Systems nur zu Teilsiegen (oder Erfolgen) führen, die von den Herrschenden immer wieder bedroht werden.

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Jakob Schäfer
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